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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2004



Schilys "Antiterrorkampf":

Gegen Grundgesetz und Demokratie

von Ulla Jelpke

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist die Innenpolitik der SPD-Grünen-Bundesregierung eine einzige Abfolge von immer neuen Grundrechtseingriffen. Besonders betroffen davon sind Ausländer, Migranten, Asylsuchende, Flüchtlinge und jeder, der auch nur im entferntesten in den vagen Verdacht gerät, einen nicht näher definierten "Terrorismusbezug" zu haben.

Die Gesetzespakete "Schily I" und "Schily II", die ausländerrechtlichen Verschärfungen im Zuwanderungsgesetz, die umfassenden Befugnisse für die Geheimdienste und die Vermischung von Verfassungsschutz und Polizei, die verdachtsunabhängigen Kontrollen und die Vidoüberwachung, die Ausdehnung statt Abschaffung des großen Lauschangriffs sind keine Zufallsprodukte, sondern folgen einer klaren politischen Linie. Diese von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) vorangetriebene und von den Grünen zumindest geduldete Politik bedeutet: Repression nach innen, Abschottung nach außen. Aktuelle Forderungen Schilys wie die nach Auffanglagern für Asylbewerber in Nordafrika sind daher die logische Konsequenz einer inhumanen Politik. Die Bundesregierung wird dabei nach Kräften im Bundesrat von den CDU/FDP- und CSU-regierten Ländern unterstützt.
Geheimdienste ohne Grenzen
Am 30. Juli 2004 verlangte Beckstein den verstärkten Einsatz des Bundesnachrichtendienstes (BND) insbesondere in den afrikanischen Ländern, um "Schleuserbanden" und "organisierte Kriminalität" besser zu bekämpfen. Ausländische Behörden würden oft wegschauen und seien korrupt, sagte Beckstein der Tagszeitung "Die Welt". Kein Wort über die Fluchtursachen, kein Wort über die Verzweiflung derer, die Hilfe in Anspruch nehmen und das letzte Geld opfern, um in Europa die Chance auf ein besseres Leben für sich und die Familie zu suchen. Aber das ist man von den "christlichen" Politikern der CSU und CDU gewohnt. Neu ist die Unverfrorenheit, mit der die Souveränität afrikanischer Staaten mißachtet wird, indem dort deutsche Behörden tätig sein sollen. Rechtsstaatlichen Auffassungen widerspricht auch die Verquickung von polizilicher Aufgabe und Geheimdienstätigkeit. Das jahrzehntelang gültige, aus den katastrophalen Erfahrungen in der Nazidiktatur geschaffene Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist heute nichts mehr wert. Der Freistaat Bayern rühmt sich schon jetzt ohne Trennung von Polizei und Verfassungsschutz Daten zu sammeln, und empfiehlt sich als Vorbild für den Bund. Zwölf Millionen Datensätze von "organisierten Kriminellen und Terrorverdächtigen wurden angesammelt." Der "Focus" berichtet: "Zu jedem Zeitpunkt wissen die Fahnder, wo sich Verdächtige aufhalten, sie kennen ihre Treffpunkte, können live jedes ihrer Telefonate mithören, den InternetVerkehr verfolgen. Sie wissen, in wessen Auto er fährt, wofür er eine Kreditkarte einsetzt oder einen Scheck einreicht. Sie verknüpfen Vernehmungsprotokolle oder Angaben bei der Ausänderbehörde." Bayern, so schwärmt das "Moderne Nachrichtenmagazin" habe das beste System der Welt, besser als CIA und FBI. Wie kaltschnäuzig das Trennungsprinzip heute missachtet wird, erfährt der Leser so: "Bislang ist es verboten, Geheimdienstmit Polizeierkenntnissen aus einer Datenbank zu vermischen. In der Praxis werden die Daten jedoch schon heute ausgetauscht. Informell. Der Chef der Terrorfahndung im bayerischen LKA, Gerhard Zintl, telefoniert jeden zweiten Tag mit seinem Kollegen vom Geheimdienst." Man darf annehmen, daß es in anderen Bundesländern ähnlich zugeht. Im November will die Innenministerkonferenz endgültig beschließen, diese Praxis bundesweit durchzusetzen. Die Parlamente sollen anschließend die verbotene Vermischung von Geheimdienst und Polizei legalisieren. Bereits am 9. Juli 2004 hat die Innenministerkonferenz Kiel die Einrichtung einer "zentralen Islamistendabei" beschlossen und damit die Beerdigung dieses hehren Trennungsprinzips. Denn auf diese ominöse Dabei werden Polizei und Geheimdienste gleichermaßen (oneline) Zugriff haben.
Noch bezeichnender ist Becksteins Presseerklärung vom 27. Juli 2004, in der es heißt: "Akustische Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung und die Auskunftsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden bei Kreditinstituten, Fluggesellschaften, Post und Fernmeldeunternehmen sind unverzichtbare Werkzeuge im Kampf gegen den internationalen islamischen Terrorismus und die organisierte Kriminalität." Dabei verweist Bayerns Innenminister darauf, daß es ohne gezielte technische Überwachungsmaßnahmen und Auskunftsersuchen bei Kreditinstituten und Fluggesellschaften für den Verfassungsschutz kaum möglich sei, Strukturen und Umfeld terroristischer Vereinigungen aufzuklären.
Damit wird ins Gedächtnis zurückgerufen, daß es bis vor drei Jahren noch gar nicht zulässig war, im heutigen Umfang Bankkonten und Passagierlisten auszuforschen. Nach dem 11. September 2001 wurden die Geheimdienste in unvorstellbarem Maße juristisch und technisch aufgerüstet, ohne daß es eine wirksame Gegenkontrolle gibt.

Zynismus pur: "Effiziente Ausreisezentren"
Denn wie zynisch deutsche Politik agiert und wie wenig sie bereit ist, einmal durchgesetzte Grundrechtseingriffe wieder zurückzunehmen, zeigt Becksteins Erklärung vom Juli diesen Jahres zum Thema "Ausreisezentren". Als "effizient und erfolgreich" bezeichnete der bayerische Innenminister die Arbeit der Ausreiseeinrichtung Fürth zur "Rückführung ausreisepflichter Ausländer". Mit den Worten "Die Qualität der Beratungsarbeit zeigt sich auch darin, daß nur sieben Personen abgeschoben werden mußten und die anderen freiwillig ausgereist sind" wird beschönigt, daß solche "Zentren" nichts anders sind als ein massives Druckmittel auf Migranten, Deutschland zu verlassen. Die menschenverachtende Wortwahl ist erschreckend, aber zugleich verräterisch hinsichtlich der Gesinnung deutscher Bürokraten.
Auf gleicher Wellenlänge mit Beckstein liegt bekanntlich Bundesinnenminister Schily. Der Zynismus seiner Forderung nach Auffanglagern in Afrika ist bislang unübertroffen. In der deutschen Politik kann anscheinend eine Idee gar nicht absurd genug sein, als daß sie nicht sogar Anhänger fände, bis hin zur CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, die Schilys Plan ausdrücklich lobte. Schützenhilfe bekam Schily auch vom Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neckdeck. Er halte Lager, wie Schily sie vorsehe, wegen des belasteten Wortes zwar für falsch, sagte Neudeck der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er könne sich aber "Aufnahmeplätze" an der Küste Nordafrikas unter Führung des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR vorstellen. Das Flüchtlingsproblem wird immer größer, da sind unkonventionelle Lösungen nötig", erklärte Neudeck, der sich somit hauptsächlich gegen die Wortwahl "Lager", aber nicht gegen die Idee einer Abschiebung des Flüchtlingsschutzes nach Afrika wandte.
Schilys Taktik könnte also wieder einmal aufgehen: Er stellt erst Forderungen, die unerfüllbar sind, und erreicht am Ende immer noch genug an Veränderungen im repressiven Sinne. So ist die deutsche Drittstaatenregelung ja erst am 29. April 2004 auf Schilys Betreiben Bestandteil der EU-Asylpolitik geworden. Die Europäische Union wird künftig Länder wie Marokko oder Ägypten als "sichere Drittstaaten" einstufen und ihnen dafür Geld gegen, daß sie "stellvertretend" für die EU Flüchtlinge aufnehmen. Selbst wenn Schilys Forderung nach Aufnahmelagern sich nicht durchsetzen sollte, wird von der EU weiter weiter an der "flüchtlingsfreien Festung Europa" gebaut.

Sicherungshaft und Verdachtsauseisungen
Eine ähnliche Salamitatik hat Schily beim Thema Sicherungshaft verfolgt. Als er in einem SpiegelInterview am 26. April 2004 die Inhaftierung "Terrorismusverdächtiger" forderte, war unter seriösen Juristen sofort klar, daß eine Haft auf Verdacht (und noch dazu auf unbestimmte Zeit) eindeutig gegen die Verfassung verstößt. Am Ende gelang es der Allianz Schily/Beckstein immerhin, im Zuwanderungsgesetz neue gravierende Grundrechtseinschränkungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß durchzusetzen. Verdächtige - also nicht etwa Personen, denen Straftaten tatsächlich nachgewiesen worden sind - unterliegen künftig Meldeauflagen, Residenzpflichten und sogar dem Verbot, bestimmte Kommunikationsmittel wie Handys zu benutzen.
Entgegen allen Beteuerungen sind auch "Verdachtsausweisungen" längst gängige Praxis. Die Ausländerpolitik der SPD-Grünen-Bundesregierung verfolgt ebenso wie die ihrer schwarzgelben Vorgängerin das Ziel, Migranten und flüchtlinge von Deutschland fernzuhalten. Dafür werden immer neue schikanöse Methoden erfunden und rechtswidrige Instrumente geschaffen.

Den obigen Beitrag haben wir aus zwei Artikeln von Ulla Jelpke aus der Jungen Welt und aus Ossietzky zusammengestellt.

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