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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2004



Kurt Georg Kiesinger:

Eine deutsche Karriere

von Elke Günter

Die Deutsche Post AG ehrt ihn aus Anlaß seines 100. Geburtstages mit einer Sondermarke. In Albstadt-Ebingen, dem Geburtsort des Geehrten, feiert die Landes-CDU-Prominenz den "großen Sohn" der Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb: Kurt Georg Kiesinger, einst stellvertretender Leiter in Goebbels Propagandaministerium, später Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg (1958 bis 1966) und schließlich Bundeskanzler von 1966 bis 1969.

Mit den Stimmen der CDU-Mehrheit gegen eine SPD-Stimme beschloß der Stadtrat zudem eine Straßenkreuzung auf den Namen Kiesinger-Platz zu taufen. Die Verdienste dieses Mannes könnten nicht hoch genug gewürdigt werden, erklärte Ministerpäsident Erwin Teufel in seiner Festrede. Weltweiten Bekanntheitsgrad trugen Kurt Georg Kiesinger freilich weniger seine "Verdienste" als eine schallende Ohrfeige vor laufenden Kameras, verabreicht von der Antifaschistin Beate Klarsfeld, ein.
Adenauer-Nachfolger Kiesinger konnte auf eine "Blitzkarriere" als stellvertretender Leiter der direkt dem Goebbels-Ministerium unterstehenden Rundfunkpolitischen Abteilung zurückblicken. Bereits drei Jahre nach seinem Eintritt ins Auswärtige Amt 1940 hatte Kiesinger eine Position inne, die normalerweise erst nach vielen Jahren im diplomatischen Dienst erreicht werden konnte. Zu den Aufgaben des am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetretenen Kiesinger gehörte das Abhören ausländischer Rundfunksender (Feindsendungen) und die Zusammenfassung der wichtigsten Meldungen in einem Bulletin, dem "Seehausdienst". (Seehaus war ursprünglich der Name eines Gebäudes am Wannsee, wo ab Juli 1940 das damals größte Abhörzentrum der Welt errichtet wurde.) Darüber hinaus beschäftige sich Kiesingers Abteilung auch mit dem Senden von gezielten Falschinformationen. Als griechischer Heimatsender "Patris" getarnt, verbreitete sie z.B. die Meldung, die Engländer vergifteten das Athener Wasser. Kiesinger, der bei seiner Vernehmung vor dem Bonner Schwurgericht am 4. Juli 1968 erklärt hatte, nichts vom industriellen Massenmord an Juden gewußt zu haben, gehörte in Wahrheit zu den bestinformierten Männern des Nazireiches. Er war Mitwisser der geheimsten Beschlüsse und Absichten nicht nur der Reichsregierung, sondern auch des immer mehr in die Position des Hitler-Vertrauten rückenden Goebbels. Nach der Befreiung von Faschismus und Krieg landete er folgerichtig erst einmal in einem von den US-Streitkräften eingerichteten Internierungslager in Ludwigsburg. Dort saß er 18 Monate ein. Sein ganzes Bestreben galt nun dem Ziel, das anstehende Entnazifizierungsverfahren möglichst unbeschadet zu überstehen. Praktischerweise saß in der Ludwigsburger Spruchkammer sein Schwiegervater, der Rechtsanwalt Dr. Schneider. Der nun setzte alles daran, dem Schwiegersohn günstige Startbedingungen zu verschaffen und erreichte schließlich eine Einstufung in die Kategorie IV "Mitläufer". Das war unter den gegebenen Umständen zwar das bestmögliche Ergebnis, aber damals noch nicht gut genug für eine politische Karriere. In einem zweiten, später von ihm selbst angestrengten Entnazifizierungsverfahren schaffte er den Sprung in die Kategorie V "Entlastet". 1948 erhielt er die Zulassung als Rechtsanwalt in Tübingen und ein Jahr darauf saß der Altnazi Kurt Georg Kiesinger für die CDU im ersten Deutschen Bundestag.


Presseerklärung VVN-BdA
"Nazi, Nazi, Nazi"
"Am 7. November 1968 hatte Beate Klarsfeld während eines CDU-Parteitages in Berlin den Kanzler der Großen Koalition und Bundesvorsitzenden der CDU, Kurt Georg Kiesinger, mit dem Ruf "Nazi, Nazi, Nazi" öffentlich geohrfeigt. Sie wolle damit beweisen, "dass ein Teil des deutschen Volkes, ganz besonders seine Jugend, darüber empört ist, dass ein Nazi, der stellvertretender Abteilungsleiter der Hitlerschen Auslandspropaganda war, heute Bundeskanzler ist." Der Philosoph Karl Jaspers hatte schon Anfang 1967 bestürzt geäußert, dass, was vor einigen Jahren noch unmöglich schien, jetzt fast widerstandslos wirklich wurde: Dass "ein ehemaliger Nationalsozialist nun die Bundesrepublik regiert, bedeutet: nunmehr gilt es als gleichgültig, einst Nationalsozialist gewesen zu sein." Jaspers zerpflückte damals schon die haltlosen Rechtfertigungen, die 2004 ähnlich wieder aufgetischt werden. Die historische Ohrfeige einer mitigen Frau, hätte einer aufgeklärten Republik als abschließende und zutreffende Würdigung der Karriere Kiesingers zwischen 1940 und 1980 genügen können. Bei der Briefmarke bleibt manchem die dafür benötigte Spucke weg. Unbeabsichtigt gilt offensichtlich für einige heute verantwortliche Politiker und Meinungsmacher, was Heinrich Böll vor 35 Jahren im Vorwort zu einer Publikation Beate Klarsfelds über Kiesinger äußerte: "Herrn Kiesinger zu beleidigen, ist offenbar sehr schwer, und das deutsche Wählervolk fühlt sich offenbar durch Herrn Kiesinger nicht beleidigt."


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