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Nummer 2 / April 2004



Leserbrief:

Die Bundesregierung als Friedensfreund?

DL

Wie wollen wir uns in den nächsten bevorstehenden Kriegen verhalten, die von den USA angezettelt werden, die BRD aber die Rolle des Friedensfreunds zu spielen scheint?
Eine häufig formulierte Forderung während der Aktionen gegen den Irak-Krieg richtete sich an die Bundesregierung. So hieß es z.B. im Aufruf des Kasseler Friedensratschlags von 2002 (der auch von unserer Organisation unterzeichnet wurde):
  • Kein Nutzungsrecht für US-Militärbasen in Deutschland für diesen Krieg
  • Keine Überflugsrechte für britische oder US-Kampfflugzeuge.
    Wenn das wirklich ernst gemeint war, beinhaltet diese Forderung, dass die Bundeswehr z.B. die Zugänge zu US-Militärbasen kontrollieren bzw. besetzen, Start- und Landebewegungen von Militärflugzeugen untersagen und notfalls unterbinden soll (z.B. durch Flugabwehrraketen oder Abfangjäger), Kriegsmaterial beschlagnahmen, US-amerikanische Truppen entwaffnen und internieren soll. Das käme einer Kriegserklärung an die USA gleich und würde an den Rand des dritten Weltkriegs führen.
    Die Forderungen richteten sich an die realexistierende Regierung, der damit auch noch der Mantel einer potenziellen Friedenskraft umgehängt wird, in einem realexistierenden Land, dem Friedensabsichten unterstellt werden. Und das ist keineswegs eine Räteregierung, die Kapital und Reaktion in der BRD niedergerungen und damit allen revanchistischen und expansionistischen Bestrebungen ein Ende gesetzt hätte (und selbst eine solche Regierung würde sich genau überlegen, ob und wann sie solche Maßnahmen ergreift). Wir haben es aber mit der Regierung eines imperialistischen Landes zu tun, das selbst expansionistische und aggressive Interessen in der Welt - nicht zuletzt in der Golfregion - verfolgt.
    Statt uns selbst, die Friedensbewegung, in die Pflicht zu nehmen, verlangte der Aufruf des Friedensratschlags 2002 von dieser Bundesregierung, dass sie unsere Aufgaben übernehme. Eine Friedensbewegung, die diesen Namen verdient, dürfte es nicht dabei bewenden lassen, US-Militärstützpunkte und Flughäfen zu blockieren. Ihre vornehmste Pflicht ist es in Calw, in Wilhelmshaven und an all den Standorten, von denen deutsche Truppen entsendet werden - nicht nur in die Golfregion, sondern nach Afghanistan, nach Bosnien-Herzegowina, Mazedonien usw. - zu Aktionen und zur Blockade aufzurufen. Ihre Pflicht ist es, als Waffeninspektion vor die Tore von Bayer, Siemens, EADS etc. zu ziehen und die Einstellung der Produktion von Massenvernichtungswaffen zu fordern (wie es Friedenskämpfer in den USA mit ihren Rüstungsproduzenten tun).
    Ohne mindestens den Rückzug der Besatzungstruppen aus Jugoslawien (aus dem "Protektorat" Kosovo) hat jede regierungsoffizielle deutsche Friedensinitiative den Beigeschmack eines imperialistischen Pokerns um Einflusssphären, um Öl und Märkte.
    Und jede zivile Friedensinitiative in der BRD, die nur noch die Aggressivität des USA- und des britischen Imperialismus sieht, die Aggressivität des deutschen Imperialismus aber übersieht und verniedlicht, hat den Beigeschmack, dass sie den eigenen Imperialismus unterstützt gegen den Rest der Welt - und damit nichts aus der Geschichte gelernt hat.
    Keine Beteiligung der BRD an der Okkupation des Irak - deutsche Besatzer raus aus Südost-Europa! Deutsche Soldaten aus allen Ländern abziehen! Runter mit der Rüstung in der BRD! Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

    Marco Daum, Petra Egbe-Mbah, Arne Hübner, Daniel Hübner, Thomas Ladewig, Brigitte Renkl, Conny Renkl, Max Renkl, Martin Zink (Mitglieder der VVN-BdA Böblingen-Sindelfingen-Leonberg)


    Anmerkung der Redaktion:
    Dieser Leserbrief lag der AN-redaktion als Erklärung der UnterzeichnerInnen bereits im Januar letzten Jahres, mitten in der Bewegung gegen den Krieg gegen den Irak vor. Die Redaktion hat sich damals gegen einen Abdruck entschieden. Es war damals eben kein Leserbrief zur Diskussion in der VVN-BdA, sondern eine als redaktioneller Beitrag formulierte Kritik an der Friedensbewegung. Die VVN-BdA hatte aber auf Bundes- und Landesebene als Teil der Friedensbewegung den kritisierten Aufruf unterstützt und deshalb auch abgedruckt. Die Kritik hätte sich also zunächst an die VVN-BdA richten müssen. Eine Diskussion darüber war aber nicht angestoßen worden. Mit dem jetzt abgedruckten Leserbrief könnte und sollte sie in die Gänge kommen.
    Dieser Diskussion halber wollen wir auch die Meinungen nicht verschweigen, die in der Redaktion eine Rolle spielten: Der Vorwurf, daß in diesem Aufruf indirekt der militärische Einsatz der Bundeswehr gegen die hier stationierten Kräfte der US-Armee gefordert würde, stieß auf Unverständnis. Auch Österreich hat die Überflugrechte verweigert, ohne daß jemand auf den Gedanken an einen Einsatz der österreichischen Luftwaffe gekommen wäre. Daß mit der Forderung nach Einstellung der praktischen deutschen Kriegsunterstützung der Bundesregierung der "Mantel einer potentiellen Friedenskraft umgelegt wurde", wurde in dieser Diskussion ebenfalls anders beurteilt: Mit ihr wurde ja gerade die Halbherzigkeit und Inkonsequenz der deutschen regierungsoffiziellen Kriegsablehnung deutlich gemacht. Auch die Meinung, daß die Friedensbewegung (zumindest die in Baden-Württemberg, in der wir als VVN-BdA ja intensiv mitarbeiten) es vernachlässigen würde, auf die deutschen Großmachtbestrebungen und Kriegsvorbereitungen hinzuweisen, wurde nicht geteilt. Dazu stehen genügend einschlägige Beiträge nicht zuletzt in den letzten Nummern der Antifa Nachrichten und selbstverständlich ebenfalls in den Friedensblättern.
    Ansonsten aber sind wir in der VVN-BdA gemeinsam mit den SchreiberInnen des Leserbriefes einer Meinung: Die Aufgaben der Friedensbewegung (und die unseren) liegen zuerst im eigenen Land: die Bekämpfung des deutschen Militarismus, seiner aggressiven Interventionspolitik, seiner Hochrüstung und Kriegsvorbereitung.


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