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Nummer 1 / Januar 2004



Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen:

Verdiente Behörde

von Heiner Lichtenstein

Die Zentrale Stelle Ludwigsburg hat in den zurückliegenden 45 Jahren um die 95 000 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter eingeleitet.

Als vor 15 Jahren an die Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen am 1. Dezember 1958 erinnert wurde, gab es ein hochrangig besetztes Symposium. Außer deutschen Experten waren 1988 Fachleute aus vielen Staaten nach Ludwigsburg bei Stuttgart gekommen. Vertreten waren u.a. die USA, Polen, Israel, die Niederlande, Österreich und die CSR. Damals wurde zu Recht gelobt, dass die Zentrale Stelle sich um das Ansehen der Bundesrepublik in Ost und West verdient gemacht hat. Ohne diese zentrale Ermittlungsbehörde wäre es weiter dem Zufall überlassen geblieben, ob mutmaßliche NS-Verbrecher zur Verantwortung gezogen werden oder frei und unbehelligt leben dürfen. Nicht thematisiert wurde damals die Panne, die am Anfang stand und auch bezeichnend war für die frühen Jahre der Bundesrepublik - der schludrige und verantwortungslose, aber durchaus beabsichtigte Umgang mit alten Nazis.

Prozess gegen Einsatzkommandos in Ulm
Am 29. August 1958 ging in Ulm ein NS-Prozess zu Ende, der damals in der ganze Republik Gesprächsstoff war: Das Schwurgericht verurteilte zehn Angehörige eines NS-"Einsatzkommandos" zu hohen Zuchthausstrafen. Die Männer hatten hinter der Ostfront ungezählte Menschen ermordet. Erst durch dieses Strafverfahren erfuhren Justiz und Öffentlichkeit vom erbarmungslosen Wüten dieser "Einsatzkommandos", deren einzige Aufgabe darin bestand, in dem Land hinter der Front die "Endlösung" zu vollstrecken, also alle Juden sowie kommunistische Funktionäre, Roma, Angehörige der Intelligenz zu erschießen. Solche Massenmörder waren bis dahin überhaupt nicht angeklagt worden. Es ging um eine ganz neue Gruppe von Tätern.
Es war freilich nicht die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Fritz Schäffer (CSU) als Justizminister, die nach den Erkenntnissen des Ulmer Verfahrens neue und vor allem bessere Ermittlungskonzepte in Sachen NS-Verbrechen forderte. Bei Schäffer konnte das niemanden verwundern, hatte er doch vorgeschlagen, Israel als "Wiedergutmachung" ein Krankenhaus zu schenken - sonst nichts.

Länder contra Bundesregierung
Nein, die Initiative kam von den Bundesländern, deren Justizminister am 6. November 1958 während einer Tagung in Bad Harzburg beschlossen, gemeinsam eine zentrale Ermittlungsbehörde einzurichten. Nicht einmal einen Monat später, am 1. Dezember 1958, konnten die Staatsanwälte, Polizisten und Kriminalbeamten mit der Arbeit beginnen.
Leiter wurde Oberstaatsanwalt Erwin Schüle, der sich im Ulmer Prozess einen Namen gemacht hatte. Deshalb war wohl auch niemand auf den Gedanken gekommen zu überprüfen, was Schüle bis 1945 getan hat. Es bedurfte der Nachhilfe aus der DDR, um zu erfahren, dass Schüle Mitglied der SA gewesen war. So mußte er seinen Platz in Ludwigsburg für einen neuen, unbelasteten Nachfolger räumen. Während Schüle mit einem höheren Posten im Justizministerium in Stuttgart entschädigt wurde, folgte ihm der junge Staatsanwalt Adalbert Rückerl aus Bielefeld. Der setzte die durchaus erfolgreiche Arbeit Schüles mit Nachdruck fort, deren Ergebnis bald sichtbar wurde. In vielen Städten der Republik wurden Anfang und Mitte der 60er Jahre NS-Prozesse eröffnet. Adenauers Empfehlung der frühen 50er Jahre im Bundestag, endlich mit der "Naziriecherei" aufzuhören, verkehrte sich in ihr Gegenteil. In Hannover, Berlin, Dortmund, Heilbronn, Koblenz, Freiburg, Karlsruhe, Bonn, Braunschweig, Köln, Tübingen, Bielefeld, Lüneburg, Stuttgart, Bochum, Hagen, Wuppertal und vielen anderen Städten begannen oder endeten nun NS-Verfahren. Nie zuvor und nicht nach den 60er und 70er Jahren wurden hierzulande so viele mutmaßliche NS-Täter angeklagt.

Vernachlässigt und behindert
Um die 95 000 Ermittlungsverfahren haben die Ludwigsburger Beamten in den zurückliegenden 45 Jahren eingeleitet. Dass trotz dieser gewaltigen Anstrengungen nur 6500 rechtskräftige Urteile übrig geblieben sind, sollte nicht Ludwigsburg angelastet werden. Die Bundesländer haben die Zentralstelle technisch nie so ausgestattet, wie es in den modernen Behörden selbstverständlich war. Die Bundesregierung hat den Mitarbeitern bis 1964 verboten, Archive in Osteuropa zu benutzten. Dort würden hieß es, Dokumente gefälscht. Tatsächlich hatte Bonn Angst vor Akten über Leute, die es in der BRD wieder zu etwas gebracht hatten. Heute gehört die Ludwigsburger Zentrale zum Bundesarchiv. Die Akten bleiben aber im angestammten Gebäude in Ludwigsburg und stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung.

(Diesen Beitrag haben dem "blick nach rechts", 20 Jg. Nr. 24 entnommen. Zwischentitel v.d. Redaktion)

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