VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.01.2004
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2004



Heidelberg:

Täter und Opfer - ein entscheidender Unterschied

LV

"Wir gedenken heute der Millionen Opfer des NS-Terrors und ihres Krieges zur Eroberung der Weltherrschaft. Die hier ruhenden 27 Widerstandskämpfer wurden ermordet, weil sie die Wahrheit sagten und den Lügen der Nazis widersprachen. Sie stammten vor allem aus dem Elsass und dem Mannheim-Heidelberger Raum. Ihre Waffen waren Feder, Papier und Schreibmaschine. Es war ein friedliches, freiheitliches und sozial gerechtes Deutschland, wofür sie eintraten und ihr Leben ließen." Mit diesen Worten eröffnete Prof. Dieter Fehrentz, Mitglied im Geschäftsführenden Landesvorstand der VVN-BdA Baden-Württemberg und Sprecher der Heidelberger VVN-BdA, die alljährlich am 1. November auf dem Bergfriedhof in Heidelberg stattfindende und von DGB und VVN-BdA initiierte Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus. Die Gedenkrede am 2001 eingeweihten Mahnmal hielt der frühere Erste Bürgermeister der Stadt Heidelberg, Prof. Dr. Joachim B. Schultis. Das ehemalige CDU-Mitglied bezeichnete die Erinnerung an die Barbarei Nationalsozialistischer Herrschaft als "Pflicht für uns Deutsche" und unerlässliche Voraussetzung für die Mobilisierung jener Kräfte, "die die Humanität des gesellschaftlichen Miteinanders verbürgen." In seiner Rede (die wir nachstehend auszugsweise dokumentieren) setzte sich Prof. Schultis auch mit der Rolle der Wehrmacht auseinander. So sei die Mitwirkung der Wehrmacht an der Realisierung der Kriegsziele im Osten nicht erzwungen worden, die Generale hätten nicht zum Mitmachen "verführt" werden müssen. Begünstigt durch den Kalten Krieg sei die Rolle der Wehrmacht verharmlost und verfälscht worden. Auch auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak ging der Redner ein. "Der Kampf gegen den Terrorismus hat die Welt nicht sicherer gemacht, sondern im Gegenteil das Völkerrecht untergraben" stellte Prof. Schultis fest. "Was vor dem Anschlag vom 11. September 2001 noch als völlig inakzeptabel gegolten hat, ist seither in manchen Ländern beinahe Regel geworden: Beschneidung von grundlegenden Bürgerrechten, Inhaftierung ohne Gerichtsurteil, Folter." Weltprobleme könnten nicht militärisch gelöst werden, sondern nur dadurch, daß Hunger, Armut, Umweltzerstörung in weiten Teilen der Welt bekämpft werden, betonte der Redner. Andreas Leimer vom Kreisverband Bautzen der VVN-BdA Sachsen überbrachte die Grüße seines Kreisverbandes. Die Forderung Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus habe nichts an Aktualität verloren, betonte der Redner. Ausdrücklich würdigte er die 2001 eingeweihte schöne Gedenkstätte auf dem Bergfriedhof. "Mit Wehmut" denke er dabei an die Gedenkstätten und Mahnmale für die Opfer des Faschismus in seiner Heimatstadt Bautzen und Umgebung, die seit der Wiedervereinigung beseitigt oder einfach nicht mehr gepflegt wurden. Die VVN-BdA in Bautzen habe nun "die Aufgabe, die restlichen noch existierenden Gedenkstätten zu erfassen, zu erhalten, zu pflegen und vor allem zu nutzen." Die VVN-BdA Sachsen setze sich für eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Schulen ein, um Jugendliche stärker in die Erinnerungsarbeit einzubeziehen und zu gewinnen. Die Zunahme rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten vor allem durch Jugendliche in Deutschland, mache ein noch breiteres antifaschistisches Bündnis über Partei- und Weltanschauungsgrenzen hinweg erforderlich, betonte Andreas Leimer. Michael Csaszkoczy von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg ging in seinem Grußwort auf die in diesem Jahr reichlich stattgefundenen Versuche, aus deutschen Tätern unschuldige Opfer zu machen ein. So seien in den Medien "der Untergang der Wilhelm Gustloff, die Bombenteppiche über Dresden, Hamburg und Pforzheim, die Benes-Dekrete, die 'unschuldig verfolgte' und stets missverstandene Nazi-Filmerin Leni Riefenstahl thematisiert worden. "Wenn wir hier auf dem Bergfriedhof unsere Gedenkfeier abhalten, dann beharren wir damit auch auf einem grundlegenden Unterschied zwischen Tätern und Opfern. Unser Gedenken ist parteilich. Und wir werden uns auch weiterhin wehren, wenn die Akteure des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges mit ihren Opfern gleichgesetzt werden."
Nach Kranzniederlegungen durch die Veranstalter, die Gäste aus Bautzen und die DKP sorgten der Chor des Autonomen Zentrums und Trompetersolist Helmut Ciesla für einen würdigen Abschluß der eindrucksvollen Gedenkfeier.


Prof. Dr. Schultis:
Die Rede eines ehemaligen Bürgermeisters und die Reaktion seiner ehemaligen Partei

"Wenn wir heute die Würde der Person, ihre Freiheit und ihre Menschenrechte dauerhaft festigen wollen, ist es unerlässlich über den persönlichen Bereich hinaus im gemeinschaftlichen Gedenken die Erinnerung an die Barbarei nationalsozialistischer Herrschaft lebendig zu halten. Sie ist eine der wichtigen Ursprungsquellen in der Bundesrepublik Deutschland für die Mobilisierung jener Kräfte, die die Humanität des gesellschaftlichen Miteinanders verbürgen. Es gibt keine kollektive Schuld, aber das heißt nicht, dass die nationalsozialistische Schreckensherrschaft mit ihren Gräueltaten im kollektiven Gedächtnis unseres Volkes getilgt werden dürfte. In ihm muss vielmehr unser fester Wille aufbewahrt sein, nie wieder eine solche schreckliche Diktatur, in welcher Form auch immer, zuzulassen. Es ist deswegen die Aufgabe der jetzigen wie der künftigen Generationen, durch die Übernahme der politischen Haftung Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen und das Bewußtsein für die von einem deutschen Staat begangene Unmenschlichkeit wach zu halten. ... Als Sohn eines Offiziers, der in der Folge des 20. Juli 1944 vermutlich liquidiert wurde, beschäftigt mich mehr denn je, die "Verstrickung" der Wehrmacht in den Vernichtungskrieg. Die leidenschaftliche Erregung über die erste Wehrmachtsausstellung zeigt mir, was mit diesem Begriff zugedeckt wird: nämlich die lange vor 1933 einsetzende Ideologie- und Feindbildentwicklung, die den ideologischen Schulterschluss Wehrmacht - Nationalsozialismus für nationale Gruppierungen als plausible Möglichkeit deutscher Kraftentfaltung sinnstiftend erscheinen ließ. Dass aus dem in der deutschen Gesellschaft vorhandenen Russlandbild das Feindbild "jüdischer Bolschewismus" wurde, ist nicht nur den Nationalsozialisten zuzuschreiben. Reichswehr, Teile des Bildungsbürgertums, schließlich auch kirchliche Stimmen trugen dazu bei. Der Anteil der Wehrmacht am Holocaust hat hier seine Wurzeln. ...
Es geht bei der Wehrmachtsaustellung nicht nur darum, dass die Wehrmacht einen völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg geführt hat, dass Hunderttausende auch an seinen Exzessen beteiligt waren. Vielmehr geht es in erster Linie um die deutsche Gesellschaft, die diese 18 Millionen Soldaten, ihre Väter und Männer, ihre Söhne und Brüder, hervorgebracht hat. Die Wehrmacht war kein Fremdkörper... Warum sollten sie anders gewesen sein, als die große Mehrheit der hitlergläubigen Deutschen? Hatten nicht Millionen Hitler gewählt, seine Volksabstimmungen nicht eine erdrückende Zustimmung erfahren, seine innen- und außenpolitischen Erfolge nicht begeisterten Jubel ausgelöst? ... Beim Besuch der Wehrmachtsausstellung wurde mir - und sehr wahrscheinlich auch den Gegnern dieser Ausstellung - bewusst, daß es nicht nur um die Teilnahme von Hunderttausenden von Wehrmachtsangehörigen an Vernichtungsaktionen, sondern um das Verhalten der Wehrmacht als Instrument der Führerdiktatur ging. Das Besondere ihrer Anstößigkeit liegt darin, dass mit der Wehrmachtsausstellung die deutsche Gesellschaft selber, aus der diese 18 Millionen Männer hervorgegangen sind, noch einmal auf den Prüfstand gestellt wird. ...
Begünstigt vom Kalten Krieg und maßgeblich gefördert von Militär, Justiz und dem politischen Interesse an der Aufrüstung wurde die Rolle der Wehrmacht verharmlost und verfälscht. Nach Manfred Messerschmidt, dem ehemaligen Leiter des Militärforschungsamtes, handelt es sich hier um eine "national konservative Gesamtleistung". Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn es auch heute noch zu Terrorakten von Rechtsextremisten, wie jüngst an der "Münchner Freiheit" kommt. Der bayerischen Innenminister Günther Beckstein zeigte sich "bestürzt über den Angriff" und kündigte harte Maßnahmen an. Der brave deutsche Staatsbürger, der etwas gegen Neonazis hat, kann sich demzufolge beruhigt zurücklehnen. Der Beckstein und die Presse werden es schon richten, wird damit suggeriert. Solche Vorstellungen sind prinzipiell falsch. Im Gegensatz zur Berichterstattung in den Medien handelt es sich bei den "Naziterroristen" nicht um eine Szene, die im politischen Abseits operiert. Im Gegenteil.

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