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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2003



90 Jahre Filbinger:

Was gestern Unrecht war ist heute aller Ehren wert ?!

von Elke Günther

Der "furchtbarer Jurist" und frühere Ministerpräsident Filbinger ist am 15. September 90 geworden und die baden-württembergische Landesregierung lud tags darauf stilsicher zum Ehrenempfang in die Ahnengalerie des Ludwigsburger Schlosses.

Bevor sich der Kreis der Filbinger-Getreuen Fischterrine, Kalbsrücken und Zwetschgen-Parfait widmete, ließ der amtierende Ministerpräsident Erwin Teufel die auserlesene Tafelrunde wissen, daß er Filbingers "ganzheitliches Denken" und die "Klarheit des juristischen Denkens" bewundere. Als Ministerpräsident habe der heutige Ehrenvorsitzende der Landes-CDU "Großes geleistet und Bleibendes geschaffen." (Stuttgarter Zeitung vom 17.9.).

Furchtbarer Jurist
"Angesichts Filbingers Vergangenheit als furchtbarer Jurist und schrecklicher Ministerpräsident gibt es an diesem Mann nichts zu würdigen und nichts zu ehren, deshalb protestieren wir in aller Schärfe gegen diese Veranstaltung" stellte VVN-BdA Bundes- und Landessprecher Werner Pfennig vor rund 200 Demonstrationen in der Ludwigsburger Fußgängerzone klar, gut 300 m vom Schloß entfernt, das von mehreren Hundertschaften der Polizei bewacht wurde. Auf Transparenten und Umhängeschildern mit Aufschriften wie "Filbinger-Feier Henkersmahlzeit", "Freiheit statt Nationalsozialismus" machten die TeilnehmerInnen an der friedlichen Protestaktion ihrer Empörung über die Filbinger-Feier Luft. Zu der Kundgebung hatten IGM Ludwigsburg, Antifaschistisches Netzwerk und VVN-BdA aufgerufen.
Ausführlich "würdigte" Werner Pfennig das "Lebenswerk" des Mannes, der nach einem Urteil des Stuttgarter Landgerichts als "furchtbarer Jurist, der sogar noch in britischer Gefangenschaft einen deutschen Matrosen mit Nazigesetzen verfolgt hat" bezeichnet werden darf und der 12 Jahre lang das Musterländle regiert hat. Im Frühjahr 1977 hatte der Schriftsteller Rolf Hochhuth in einem Essay für die ZEIT enthüllt, daß Filbinger als Marinestabsrichter noch am 29. Mai 1945 den 24-jährigen Obergefreiten Kurt Petzold zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt hatte, weil der sich geweigert hatte, einen Befehl auszuführen. Petzold hatte sich außerdem das Hakenkreuz von der Uniformjacke gerissen und "Ihr Nazihunde, ihr seid schuld an diesem Krieg" ausgerufen. Für Filbinger hat sich darin "ein hohes Maß an Gesinnungsverfall" gezeigt. "Zersetzend und aufwiegelnd für die Manneszucht" habe Petzold gewirkt. Sein Urteil hingegen sei "ausgesprochen mild" ausgefallen hatte Ex-Marinerichter Filbinger später erklärt. Dieser Enthüllung folgten bald weitere. Der Fall eines Oberleutnants wurde bekannt, den Marinestabsrichter Filbinger noch am 1. Juni 1945 - also mehr als drei Wochen nach Kriegsende - wegen Entfernens von der Truppe zu 13 Monaten Gefängnis verurteilt hatte.

Reine Phantomurteile
Das Fernsehmagazin "Panorama" legte Dokumente vor, nach denen Filbinger am 9. April 1945 einen Matrosen wegen Fahnenflucht im Felde und am 17. April einen anderen wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilte hatte. Beiden Matrosen war die Flucht gelungen. Deshalb bezeichnete Filbinger die Todesurteile als "reine Phantomurteile", die "allein der Abschreckung" gedient hätten. Filbinger, der bis zuletzt behauptet hatte, kein einziges Todesurteil gefällt zu haben, mußte schließlich unter dem Druck der vorgelegten Beweise und um bereits angekündigten entsprechenden Berichten in "Zeit" und "Spiegel" zuvorzukommen einräumen, daß er am 16. Januar 1945 als Vertreter der Anklage die Todesstrafe für den damals 22-jährigen Matrosen Walter Gröger gefordert hatte. Gröger waren ein Desertationsversuch zur Last gelegt worden. Am 16. März 1945, nur wenige Wochen vor der Befreiung, wurde die von Filbinger als Marinestaatsanwalt geforderte Todesstrafe an Walter Gröger vollstreckt. Filbinger hatte als Anklagevertreter persönlich an der Erschießung des jungen Matrosen teilgenommen. In einem Schreiben an die Mutter von Walter Gröger beteuerte er 1978: "Es ist nicht nichtig, daß ich die Wahrheit verschwiegen hätte, sondern wahr ist, daß ich mich an die jetzt bekannt gewordenen Todesurteile nicht erinnert habe."

Pathologisch gutes Gewissen
SPD-Oppositionsführer Erhard Eppler bescheinigte ihm daraufhin ein "pathologisch gutes Gewissen". Filbinger wurde nicht müde zu beteuern, daß er gar nicht anders hätte handeln können und die Umstände das Todesurteil unumgänglich gemacht hätten: "Der Matrose G. war in Norwegen fahnenflüchtig gworden, nachdem die Marine im Frühjahr 1945 die Rettungsaktion über die Ostsee durchführte, bei der 2,5 Millionen Menschen gerettet wurden. Fahnenflucht gefährdete diese größte humane Rettungsaktion über See der Geschichte..." In Wahrheit versuchte Gröger jedoch nicht 1945, sondern bereits 1943 zu desertieren! Der 21-jährige kriegsmüde Matrose sollte deshalb 1944 zu 8 Jahren Zuchthaus und Verlust der Wehrwürdigkeit bestraft werden. Das akzeptierte der zuständige Admiral jedoch nicht und verlangte die Todesstrafe. Filbinger funktionierte und beantragte wie gewünscht die Todesstrafe. Er hätte kein Held sein müssen, um die ursprünglich verhängte Zuchthausstrafe für ausreichend zu erklären. Es ist kein einziger Fall bekannt, dass ein Militärrichter oder -ankläger, der den Vorgaben seines Gerichtsherrn nicht folgte, persönlich gemaßregelt worden wäre. Nein, Filbinger hielt die Todesstrafe für den "Schädling am Volksganzen" Gröger für richtig.
"Was gestern Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein" dieses Bekenntnis Filbingers brachte schließlich sogar die letzten CDU-Getreuen gegen ihn auf. Er, der nicht nur behauptet hatte, keine einziges Todesurteil gefällt zu haben und sogar dem Widerstandskreis um Goerdeler nahe gestanden zu haben, ja, seine "antinazistische Gesinnung" nicht nur "in sich getragen, sondern sichtbar gelebt" zu haben, war schließlich nicht mehr zu halten. Am 3. August 1978 gab das Staatsministerium ein "überraschend" bekannt gwordenes viertes Todesurteil unter Filbingers Beteiligung bekannt. Am 7. August 1978 trat er schließlich zurück.

Schrecklicher Ministerpräsident
"Der furchbare Jurist Filbinger gehört zu den Männern, die den Ungeist des Nazistaats in die Bonner Republik hinübergerettet haben. Er steht für die Verfolgung und Mundtotmachung von Demokraten", erklärte Werner Pfennig und ging dabei auch auf die Berufsverbotepraxis in Filbingers Musterländle ein. Allein zwischen und 1973 und 1976 wurdem mehr als 70 000 Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs "karteimäßig überprüft". Das bedeutete die Überprüfung sämtlicher Bewerber für den öffentlichen Dienst. "Für ein Ausbildungsverbot reichte die Teilnahme an einer Demonstration oder an Veranstaltungen linker Gruppen oder eine Reise in dibe DDR" stellte Werner Pfennig fest. Während "viele Frauen und Männer, die sehr gute Lehrer und Hochschullehrer abgegeben hätten, unter das Fallbeil der Berufsverbote fielen", konnten NPD-Funktionäre wie der Holocaust-Leugner Günter Deckert und der frühere NPD-Landesvorsitzende Jürgen Schützinger unter Filbinger Beamte bleiben. Man fühlte sich verbunden: Die NPD, die bis 1972 mit komfortablen 9,8 Prozent im Landtag saß, hatte kurz vor der Landtagswahl 1972 ihre Kandidatur zurückgezogen und zur Wahl der Filbinger-CDU aufgerufen - was der CDU zum ersten Mal die absolute Mehrheit einbrachte. "Freiheit statt Sozialismus" lautete sein Wahlslogan. Im McCarthy-Stil bekämpfte und verleumdete er Gewerkschaften. Links-liberale Hochschullehrer, Theologen, Schriftsteller, kritische Journalisten wurden von ihm mit dem Stigma "Handlanger und geistige Wegbereiter des Terrors" gebrandmarkt - oft mit weitreichenden Konsequenzen für die Betroffenen. Hochschulen galten ihm als Hort Kommunismus und "Sympathisantensumpf", der "ausgetrocknet" werden müsse. Mit Hilfe eines rigiden - und in der Bundesrepublik in dieser Schärfe einmaligen - Landeshochschulgesetzes wurden die gewählten Studentenvertretungen aufgelöst und studentische Gelder beschlagnahmt. Umweltschützer, die sich in Filbingers Wahlkreis Freiburg gegen den Bau des Kernkraftwerks Wyhl wandten wurden von ihm als "Pack" und "Pöbel" beschimpft und mit massivsten Polizeieinsätzen, die bis heute in der Region unvergessen sind, bekämpft.

Unbelehrbar
Nach seinem erzwungenen Rücktritt widmete der "Gesinnungsantinazi" Filbinger, der 1935 als Student die NS-Gesetzgebung als "geistige Voraussetzung für einen wirksamen Neubau des deutschen Rechts" bezeichnet hatte, der "Schädlinge am Volksganzen unschädlich" mache, seine Energie dem Aufbau des Studienzentrums Weikersheim. Eine rechte "Denkfabrik", die, so Werner Pfennig, "als Scharnier zwischen rechtskonservativen und offen neofaschstischen Kräften fungiert." So sei der heutige Geschäftsführer des Studienkreises Weikersheim, das CDU-Mitglied Albrecht Jebens gleichzeitig Funktionsträger der "Gesellschaft für freie Publizistik", einer anerkanntermaßen rechtsextemistischen Kulturvereinigung. Werner Pfennig forderte dazu auf, dem Studienzentrum Weikersheim "die staatstragende Maske vom Gesicht zu reißen" und die finzielle Förderung des Studienkreises durch das Land einzustellen, denn "die Gewalt kommt auch aus der Mitte der Gesellschaft und hiergegen müsen wir uns gemeinsam wehren. Die Feinde der Demokratie standen in Deutschland immer rechts und nicht links" betonte Werner Pfennig, in seiner immer wieder von Zwischenapplaus unterbrochenen Rede.
"Filbinger zählt nun wirklich zu den Unbelehrbaren. Manche meinen, er sei 90 Jahre alt und man solche ihn in Ruhe lassen. Aber Filbinger hat mit 90 nichts dazugelernt und deshalb ist es unerträglich, daß der amtierende Ministerpräsident heute abend im Schloß eine Laudatio hält. Jedem anständigen Menschen müßte die Schamesröte ins Gesicht steigen und niemand dürfte an einem solchen Empfang teilnehmen" bekräftige Werner Pfennig nochmals.
Immerhin, die Fraktionsvorsitzenden der SPD und der Grünen, Wolfgang Drexler und Winfried Kretschmann hatten abgeagt, weil Filbinger in Bezug auf die Todesurteile auch heute noch "keinen Ansatz von Selbstkritik" zeige.

Zur Aktion gegen die Filbinger-Ehrung hat die VVN-BdA ein Vierseitiges Flugblatt erstellt, daß seine "Verdienste" als Marinerichter und Landesvater ausführlich würdigt. Es ist in der Geschäftsstelle erhältlich.

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