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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2003



Eine Kleinstadt bei Ulm:

"Küßt die Faschisten" - in Senden

von Elke Günther

Unter dem Motto "Keine Nazis in Senden und anderswo" demonstrierten am 20. September mehr als 300 Menschen gegen Naziumtriebe in der bayerischen Kleinstadt und deren fördernde Duldung und Verharmlosung durch die zuständigen Behörden.

Zu der mehrstündigen Aktion mit Kundgebungen, Demonstration und Rockkonzert hatte die Antifa Ulm und die Bürgerinitiative "Nazifreie Stadt Senden" aufgerufen. Senden liegt an der Iller, in der Nähe von Ulm und nur wenige Kilometer jenseits der Baden-Württembergischen Landesgrenze in Bayern. Der Ort entwickelt sich seit einiger Zeit zum regionalen Zentrum von Naziaktivitäten.
"Wir demonstrieren hier, weil wir nicht zulassen, daß öffentliche Auftritte der Neofaschisten stillschweigend akzeptiert werden. Den Städträten in Senden, den Behörden sollen die Ohren klingeln" sagte VVN-BdA Bundes- und Landessprecher Werner Pfennig in seiner Kundgebungsrede auf dem Sendener Marktplatz. "Justiz und Polizei erkämpften den Nazis über Jahre hinweg Freiräume, indem deren Aktionen genehmigt und gegen Proteste geschützt wurden", kritisierte der Redner

"Pädagogische" Polizeigewalt
Die Sendener NPD hatte für den 20 September eine Gegenkundgebung angemeldet und auch - zeitlich versetzt - genehmigt bekommen. Die Staatsgewalt hatte daraufhin fünf Polizeihundertschaften aufgeboten. Transparentstangen der Antifa-Demonstranten wurden wegen "unvorschriftsmäßiger (Über)Länge" konfisziert, anreisende Demonstranten - darunter Schülerinnen und Schüler - auf dem Bahnhof eine halbe Stunde lang kontrolliert, ihre Personaldaten in den Polizeicomputer eingegeben und schließlich in kleinen Gruppen von bürgerkriegsmäßig ausgestatteten Polizeibeamten auf den Sendener Marktplatz eskortiert. Der pädagogische Zweck solch demokratiefremder Machtdemonstrationen ist hier wie überall der selbe: Abschrecken, Angst machen, Demonstranten das Gefühl vermitteln, etwas Illegales zu tun. Dabei sind die Grenzen zwischen Schickane und unfreiwilliger Komik mitunter fließend: Da geriet z.B. der wissenschaftliche Leiter der KZ-Gedenkstätte Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Dr. Silvester Lechner ins Visier der Ordnungskräfte. Er wurde aufgefordert seinen Schlüsselbund - darunter auch der Schlüssel zur KZ-Gedenkstätte - als potentiell gefährliches Schlagwerkzeug abzugeben. (Was er aber erfolgreich abwehrte).

Brauner Terror
In seiner Rede ging Werner Pfennig auf das von den Neofaschisten ausgehende Bedrohungspotential ein, wie es jetzt ganz aktuell anläßlich der Verhaftung des Führers der Nazikameradschaft Süd in München deutlich geworden ist. Wiese hat bekanntlich, wie die Polizei aufdecken konnte, einen Anschlag auf die TeilnehmerInnen an der Grundsteinlegung zur Münchner Synagoge am 9. November geplant. Die Münchner Nazigruppe bezeichnete Pfennig als "Teil eines bundesweiten Neonazinetzwerkes mit weitreichenden Kontakten". Wiese trat u.a. als Kundgebungsredner bei einer von Jungen Nationaldemokraten und sogenannten Freien Kameradschaften gemeinsam durchgeführten Kundgebung gegen die Wehrmachtsausstellung am 21.6. in Schwäbisch Hall auf. Die antifaschistische Aktion Neu-Ulm hat inzwischen weitere Verbindungen der bayerischen Rechtsextremisten aufgedeckt. "Wiese und seine Gruppe sind Teil der neofaschistischen Sammlungsbewegung 'Demokratie direkt' um den Mehringer Roland Wutke. 'Demokratie direkt' veranstaltet hier in der Region sogenannten Parteiübergreifende Stammtische. Das alles kann doch den politisch Verantwortlichen hier nicht verborgen geblieben sein" vermutete Werner Pfennig. Er erinnerte daran, daß es enge Kontakte - bis hin zu personellen Überschneidungen zwischen braunen Terrorgruppen und NPD bereits in der Vergangenheit gegeben hat. Als Beispiel nannte er die Verbindungen zwischen der "Wehrsportgruppe Hoffmann" und der NPD. Gundolf Köhler, Mitglied der Wehrsportgruppe hatte 1980 einen Terroranschlag auf BesucherInnen das Münchner Oktoberfestes verübt, bei dem 13 Menschen starben und 219 teilweise schwer verletzt worden waren. Der Bundesregierung warf der Redner vor, noch immer die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus und der NPD zu verharmlosen. "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" betonte Werner Pfennig. Eindringlich forderte er dazu auf, "den Sumpf trocken zu legen, in dem die Neofaschisten gedeihen können. Neonazis gehen der Demokratie an die Gurgel. Deshalb muß eine Demokratie dem entgegen treten und dafür sorgen, daß ihr nicht irgendwann von geschichtsblinden Barbaren die Luft zum atmen genommen wird."

Stillstand der Zuständigen
Doch diejenigen, die dazu berufen wären, die Demokratie zu verteidigen, zeigten sich zu lange blind und zu nachgiebig gegenüber den Gefahren von rechts. Die Traditionslinie reiche hier von der Weimarer Republik bis heute. Der Redner warnte vor "neuen Fahrgemeinschaften in der Rechtskurve". Die Gewalt komme auch aus "der Mitte der Gesellschaft". So sei die Mauer zwischen "restaurativem Konservatismus und gewalttätigem Rechtsextemismus gefallen." Die rechtsextreme Gefahr gehe weit über spektakuläre Einzelfälle hinaus. Es sei an der Zeit, das "Gemenge von Demokratieverachtung, Gewaltgeilheit und Menschenhaß wieder als das zu bestimmen, was es ist: Eine der übelsten Bedrohungen in Deutschland. Naziideologie lasse heute fast in jeder zweiten Kneipe vernehmen. Werner Pfennig forderte, alle Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, auch als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anzuerkennen. Neofaschismus und Rassismus zu bekämpfen, heiße ihre "Wurzeln zu beseitigen, die Demokratie zu stärken und auszubauen, statt sie einzuschränken." Wer soziale Sicherheit zerstöre, vergrößere gleichzeitig den Nährboden für Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, warnte der Redner.
Nach der Kundgebung formierte sich ein Demonstrationszug der auch an der in der Feldstraße beheimateten "Parteizentrale" der Senden NPD vorbei führte. Die Neonazis lümmelten am offenen Fenster, des erkennbar mit Reichskriegsflaggen dekorierten Raums.

Begünstigung durch die Behörden
Bei der geradezu den Tatbestand der Begünstigung erfüllenden Nachgiebigkeit der Behörden gegenüber den Sendener Nazis wundert es nicht, daß die NPD eine Gegenkundgebung gegen die Antifa-Aktion angemeldet - und auch zeitverschoben - genehmigt bekommen hat.
Die NPD unterhält in Senden einen Ortsverband und einen Kreisverband Senden/Illtal/Neu-Ulm. Von hier aus werden Fahrten zu bundesweiten Nazitreffen, wie z.B. zum Rudolf-Heß-Marsch in Wunsiedel oder den Protestmärschen gegen die Wehrmachtsausstellung organisiert. Open-Air-Konzerte mit einschlägigen Nazimusik-Größen werden in Senden vorbereitet und via Internet bundesweit beworben. Auch Vorträge bekannter Nazireferenten, wie z.B. dem Holocaust-Leugner und früheren NPD-Vorsitzenden Günter Deckert gehören zum Unterhaltungsangebot der Sendener Naziaktivisten. Seit über einem Jahrzehnt beobachtet die Antifaschistische Aktion Ulm/Neu-Ulm die vor allem im letzten Jahr rapide angestiegene Aktionstätigkeit der Neonazis in Senden und Umgebung. Dabei ist eine sechs Seiten umfassende - unvollständige - Chronologie von Naziaktivitäten entstanden. Ein Dokument auch der erschreckenden Untätigkeit der zuständigen Behörden, dem wir die nun folgenden Informationen entnommen haben.

Stelldichein der Neonazis
Am 13. Juni 2003 wurde der NPD-Ortsverband Senden in der erklärten Absicht gegründet, dadurch leichter an städtische Räume heranzukommen. Die Gründungsversammlung fand bereits im städtischen Bürgersaal statt. Anschließend referierte dort der Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub vor ca. 60 Skinheads. Nur einen Monat später stand im selben Saal eine Vortragsveranstaltung mit dem revanchistischen Hetzer und Funktionär des NPD-nahnen "Freundschaft- und Hilfswerks Ost (FuHO) Klaus Hoffmann auf dem Programm. Am 15. August sollte wiederum eine Vortragsveranstaltung mit dem Holocaust-Leugner Günter Deckert stattfinden. Auch für diese Veranstaltung stellte die Stadt Senden den inzwischen in Heining-Saal umbenannten Bürgersaal zur Verfügung. Probleme sahen die örtlichen Behörden offenbar auch nicht in der Überlassung des Sendener Festplatzes für ein großes OpenAir-Konzert ("Balladenabend") am 14. September mit den neofaschistischen Liedermachern Frank Rennicke, Annett Moeck und Michael Müller. Der republikweit bekannte Nazibarde Rennicke ist ein gerichtsnotorischer Volksverhetzer. Michael Müller, Regensburger Burschenschafter und einer der führenden Funktionäre des "Aktionsbüros Süddeutschland" der Gruppe um den Münchner Naziführer Martin Wiese, hat mit seinem seinem Lied "Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, mit sechs Millionen Juden ist noch lang nicht Schluß" schon in der Vergangenheit die braunen Kameraden unterhalten. Dieses widerwärtige Machwerk ist u.a. auch im NPD-Verbotsantrag der Bundesregierung dokumentiert. Erwartungsgemäß benutzt Müller die Sendener Bühne auch am 14. September für antisemitische Hetze. Am Vorabend des "OpenAir-Konzerts" war im privaten Kreis für den Sendener NPD-Kreisvorsitzenden Nazichef Stefan Winkler und seinen Anhang aufgetreten. Stefan Winkler wurde übrigens im Januar 2003 von "Freien Kameraden" um das Hamburger Aktionsbüro Nord und der Fränkischen Aktionsfort (FAF) als Informant und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes geoutet. Viel "geoutet" werden mußte dabei übrigens nicht, denn Winkler hat diesen Kreisen gegenüber seine Verbindungen zum "Verfassungsschutz" offen zugegeben. Die Sendener Nazis stört's nicht und größere "Interessenskonflikte" zwischen neofaschistischen und verfassungsschützerischen Aktivitäten scheinen für Winkler ohnehin nicht zu existieren.
Einem Zeitungsbericht über die Sendener Aktion "Keine Nazis ind Senden und anderswo!" zufolge will Sendens Bürgermeister Kurt Baiker jetzt darüber nachdenken, ob städtische Räume künftig für die Nazis tabu sein sollen. Besser spät als nie.


Rosen auf den Weg gestreut
von Kurt Tucholsky (1931)

Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht - sie sind so zart!
Ihr müsst mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!

Pfeifft Eurem Hunde, wenn er kläfft:
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Wenn sie in ihren Sälen hetzen
sagt: "Ja und Amen - schlagt mich in Fetzen!"
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Und schießen sie - du lieber Himmel,
schätzt Ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!

Wer möchte nicht gerne Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen...
Und spürt ihr auch in Eurem Bauch
den Hitler-Dolch, tief bis zum Heft:
Küsst die Faschisten,
küsst die Faschisten,
küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!


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