VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.05.2003
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2003



Generalstreik nur in Mössingen:

Streik, ja - aber eine Gedenktafel?

von Elke Günther

"Wir schreiben das Jahr 1933. Ganz Deutschland ist von Nazis besetzt. Ganz Deutschland? Nein, ein kleines Dorf hört nicht auf, Widerstand zu leisten" mit diesem Rückgriff auf einen allbekannten Comic begann der Tübinger Literaturprofessor Jürgen Wertheimer seinen Vortrag aus Anlaß einer Ausstellungseröffnung zum 70. Jahrestags des Generalstreiks.

Kleinbonum heißt Mössingen und liegt auf der Schwäbischen Alb. Dort fand am 31. Januar 1933 der einzige Generalstreik gegen die Machtübertragung an Hitler statt. Prof. Wertheimer würdigte die Aktion als Beispiel für Zivilcourage, wie sie auch heute gebraucht würde. Er erinnerte an "das Ächzen der Gerichtsmühlen", - die übrigens in einem von der VVN angestrengten Musterprozeß wegen Haftentschädigung für die verteilten "Rädelsführer" in Gang gesetzt worden waren - als 1954 das Gericht entschied: "Die Frage, ob der Kläger mit seinem strafbaren Verhalten am 31. Januar 1933 den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt habe, ist eindeutig zu verneinen. Wäre die Aufforderung zum Generalstreik überall befolgt worden, so wäre diese Maßnahme, die Regierung Hitler lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen, zu erreichen gewesen. Der anläßlich des Kapp-Putsches durchgeführte Generalstreik der wesentlich zum Zusammenbruch des Putsches beigetragen hatte, hatte die Tauglichkeit des Generalstreiks als eines politischen Kampfmittels klar erwiesen."

"Tauglichkeit des Streiks klar erwiesen"
Unter den zahlreichen Zuhörern befand sich auch der heute 95-jährige Jakob Textor, der damals das Plakat "Heraus zum Massenstreik" angefertigt hatte und Albert Steinhilber, einer der damals politisch Aktiven. Die Ausstellung über den Mössinger Generalstreik ist die erste offizielle Dokumentation. Bürgermeister Fifka, Sozialdemokratie und seit fünf Jahren Mössinger, sprach von einem "Wagnis". Auf seinen Vorschlag hin wurde sie zusammengestellt. Dem Anliegen der VVN-BdA an der Langgass-Turnhalle ein Schild anzubringen, das auf diesen bedeutsamen Ort hinweist, erteilte Bürgermeister Fifka allerdings eine schroffe Absage: "Ich untersage Ihnen ausdrücklich das Anbringen einer Gedenktafel an der Langgaß-Turnhalle anlässlich Ihrer geplanten Demonstration am 70. Jahrestag des Mössinger Generalstreiks. Dies kommt grundsätzlich nicht in Frage."

Demo auf historischen Spuren
Auf den Spuren der Generalstreikteilnehmer, waren nach genau "70 Jahre, zwei Stunden und 30 Minuten", wie Jens Rüggeberg von der VVN-BdA Tübingen ausgerechnet hatte, rund fünfzig Leute, darunter Enkelin und Urenkelin der damaligen Streikführer, Andrea Ayen und Erika Essich-Kalich, Städträtinnen, Lehrer, Gewerkschafter, Antifaschisten aus der Region durch Mössingen unterwegs. Die TeilnehmerInnen an der "etwas anderen Demo", der ein rotes Transparent "Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg!" vorangetragen wurde, erfuhren viel über den Generalstreik und die widerständigen Teilnehmer. Anka Österle, Kulturwissenschaftlerin und VVN-BdA Kreisvorstandsmitglied in Tübingen, berichtete vor dem Fabriktor mit den Initialien "CCM", daß hier, bei der Firma Merz, keineswegs alles reibungslos gegangen war: "Die Weber schlossen sich schnell an, aber im Kesselhaus kam's zu Rangeleien, der Mechaniker weigerte sich, die Maschinen abzustellen." Auch Fabrikherr Merz fuhr dazwischen, versuchte gar die Polizei zu holen - zunächst erfolglos: "Niemand kam." Gegenüber der früheren Firma Pausa und heutigen Altenwohnanlage verharrte der Demonstrationszug ein zweites Mal. Hier hatte vor 70 Jahren der Reutlinger KPD-Bezirksvorsitzende Fritz Wandel von den Eingangsstufen des alten "Schwanen" aus die Arbeiter zum Streik aufgerufen. Demonstrationsteilnehmer entrollten hier ein besonderes historisches Mitbringsel: ein großes Transparent, das zum 50. Jahrestag des Generalstreiks 1983 zur Ehren der Pausa-Kollegen gefertigt worden war. Die Beschäftigten der der berühmten Mössinger Textildruckerei hatten sich wie Anka Oesterle betonte, nach einer Abstimmung nahtlos hinter ihrem Betriebsobmann Georg Wagner in den größer werdenden Protestzug eingereiht, nachdem Wandel eine aufrüttelnde Rede gehalten und immer wieder betont hatte: "Hitler bedeutet Krieg!"

Verantwortung der Arbeiterbewegung heute
Vor der Langgass-Turnhalle, dem Ausgangspunkt des Mössinger Generalstreiks vor 70 Jahren, sprach Bernd Riexinger, Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft Ver.di: "Nur eine Massenbewegung gegen den Faschismus hätte die Machtübernahme durch Hitler verhindern und Deutschland den braunen Terror und der Welt einen grausamen Krieg mit über 55 Millionen Toten ersparen können." Er bezeichnete es als erschütternd, daß die Arbeiterbewegung, die mit SPD und KPD die größten Arbeiterparteien und eine starke Gewerkschaftsbewegung zur Verfügung hatte, weitgehend kampflos die Machtübernahme durch Hitler und seine faschistische Partei hingenommen hatte. Der Generalstreikaufruf der KPD verhallte, außer in Mössingen wirkungslos." Noch stärker hätten die deutschen Gewerkschaften versagt, stellte Bernd Riexinger fest. Am 21. und 29. März hatte der 1. Vorsitzende des ADGB Briefe an Hitler geschrieben, "in denen er die Entpolitisierung der Gewerkschaften und die Zusammenarbeit mit den Unternehmern im neuen Staat offerierte. Am 9. April bot der ADGB Bundesvorstand der neuen Regierung seine Mitarbeit an und empfehl die Einsatzung eines Reichskommissars für die Gewerkshaften. Mitte April schließlich rief der ADGB-Bundesvorstand seine Mitglieder zur Beteiligung an den NS-Maifeiern auf und begrüßte es, dass die Hitler-Regierung den 1. Mai zum Feiertag der nationalen Arbeit erklärte." Daraus müßten Lehren gezogen werden, betonte Bernd Riexinger. Es dürfe nie wieder passieren, daß Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, demokratische Kräfte das Heraufkommen nationalistischer, faschistischer Kräfte unterschätzen. Der Redner machte aber auch deutlich, daß die Arbeiterbewgung zwar versagt habe, aber zu keinem Zeitpunkt Träger der faschistischen Massenbewegung gewesen sei. Es sei nachweislich das deutsche Kapital gewesen, das Hitler zur Macht verholfen habe. "Führende Industrielle, Bankiers und Großagrarier forderten Mitte November 1932 Hindenburg auf, Hitler als, ich zitiere "den Führer der größten nationalen Gruppe" zum Reichskanzler zu ernennen."
Der Gewerkschafter rief dazu auf, sich an den Aktionen der Friedensbewegung zu beteiligen. "Wir sagen Nein zum Krieg gegen den Irak. Keine aktive Beteiligung und keinerlei Unterstützung der Bundesrepublik am Krieg. Nehmen wir uns die Menschen, die am 31.1.1933 in Mössingen streikten und viele davon später verfolgt wurden, zum Vorbild. Zeigen wir Zivilcourage im Kampf gegen Faschismus, Nationalismus, Rassismus und Krieg!"
Die Veranstaltungen zum 70. Jahrestag des Mössinger Generalstreiks fanden ein, wohl auch von den Akteuren, unerwartet starkes Medienecho. Vielleicht hängt's ja damit zusammen, daß der "Gedenktafel-Generalstreit" so zufriedenstellend (Schwäbischs Tagblatt) beendet wurde. Am 17. März faßte der Mössinger Gemeinderat bei fünf Gegenstimmen den Beschluß, eine Gedenktafel an der Langgaß-Turnhallte anzubringen. Der Text entspricht zumindest in Teilen dem Vorschlag der VVN-BdA Tübingen. Er lautet: "Zum Gedenken an die Frauen und Männer, die von hier aus am 31. Januar 1933 den Mössinger Generalstreik gegen Hitler und die Nazidiktatur wagten".

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2003 J. Kaiser