VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.05.2003
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2003



Anmerkungen zur Bücherverbrennung 1933:

Fanal der Weltkatastrophe

von Reinhard Hildebrand

"Am 10. Mai 1933 flammten auf dem Opernplatz zu Berlin und auf vielen öffentlichen Plätzen der Haupt- und Universitätsstädte des Reiches Scheiterhaufen auf, in denen Bücher verbrannt wurden. Das war kein spontaner Akt einer unvernünftigen Menge gewesen, sondern eine wohlüberlegte und sorgfältig organisierte Veranstaltung nationalsozialistischer Staatsräson. Wie die Reichstagsbrandstiftung am 28. Februar 1933 das Fanal des Terrors gegen alle Antifaschisten, der Judenboykott vom 1. April 1933 der Auftakt der Pogrome, die Auflösung und Ausraubung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 die Proklamierung der sozialen Unterdrückung gewesen waren, so waren die Autodafés vom 10. Mai Evidenz der amtlich verfügten und mit terroristischen Mitteln durchgeführten Barbarisierung Deutschlands."

Mit diesen Sätzen beginnt ein Beitrag von Alfred Kantorowicz vom April 1934 für die in englischer Sprache veröffentlichte Denkschrift "Why a Library of the Burned Books?". Der bekannte Literaturkritiker der "Vossischen Zeitung", 1931 Mitglied der KPD, emigrierte im Februar 1933 nach Frankreich und wurde Generalsekretär des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Paris. Im Rückblick sehen wir die Barbarisierung Deutschlands anders. "Fragen wir ruhig, ob man diese ganze Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 nicht allzu wichtig nimmt" - so der Literaturwissenschaftler Hans Mayer 15 Jahre später in einer Rede am 10. Mai 1948 in Berlin, und weiter: "Nun ist unleugbar, dass die Geschichte des Dritten Reiches im Vergleich zu jenem Feuerzauber der brennenden Bücher weit grauenvollere Rückfälle ins Barbarische, in die Inhumanität scheinbar überwundener Kulturstufen zu verzeichnen hat. Gegenüber Auschwitz und Majdanek und Oradour und Lidice, gegenüber Buchenwald und Dachau ... verblasst das Grauen, das damals im Mai 1933, noch als Ahnung oder Vorahnung die außerdeutsche Welt erfasste."

Zerschlagung der Arbeiterbewegung
Erinnern wir uns, wie es begann. In den Tagen vom 10.-15.3.1933 wurden in Württemberg etwa 1700 kommunistische und sozialdemokratische Funktionäre von den Nazis verhaftet. Am 21. März 1933 wurden die männlichen Häftlinge auf den Truppenübungsplatz Heuberg transportiert, wo das erste Konzentrationslager errichtet wurde. Für Frauen wurde am 31. März eine Schutzhaftabteilung im Frauengefängnis Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd eröffnet. Ein halbes Jahr später, im Oktober 1933, wurde die Festung Oberer Kuhberg in Ulm als KZ vorbereitet. Der Heuberg, Gotteszell und der Obere Kuhberg hatten den gleichen Zweck wie alle frühen Konzentrationslager in der Zeit von 1933 bis 1934: die Ausschaltung der politischen Gegner.

Zerschlagung der Kultur
Die Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheit in Deutschland zerstörte auch die Kultur. Zum Schlag gegen linke, zum Teil der KPD nahestehende Schriftsteller, holte die nationalsozialistische Regierung nach dem Reichstagsbrand aus. Noch in der Nacht zum 28. Februar wurden Willi Bredel, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn und andere verhaftet. Sie kamen alle aus verschiedenen Gründen spätestens 1934 wieder aus dem Gefängnis. Andere, wie Carl von Ossietzky (der Herausgeber der "Weltbühne"), Erich Mühsam, Klaus Neukrantz (der Autor des Romans "Barrikaden am Wedding") und andere überlebten die Folter der Gestapo nicht. Viele entzogen sich durch Flucht dem Zugriff der Polizei. Einer der Zufluchtsorte war Sanary an der französischen Mittelmeerküste, viele kamen: Brecht, Feuchtwanger, Toller, Werfel, A. Zweig, Thomas und Heinrich Mann usw.

Zerschlagung der Demokratie
In Deutschland wurde innerhalb eines halben Jahres die Demokratie zerstört. Hitlers Helfer waren, so schreibt Kantorowicz 1934, "die Entwurzelten und Schlechtweggekommenen." Im Deutschland des verlorenen Ersten Weltkrieges, der Inflation, der Wirtschaftskrisen, der Arbeitslosigkeit, der schwelenden sozialen Krise gab es Millionen gescheiterter kleinbürgerlicher Existenzen, die sich nur allzu gern bestätigen ließen, dass ihr Elend ein Indiz ihrer Auserlesenheit, ihre Not eine Tugend sei und dass es nur des entschlossenen "Führers' bedürfe, sie aus dem Labyrinth der sozialen Unordnung hinaus an den ihnen gebührenden Platz zu führen." Sie gingen den Weg der Lügenphrasen und der politischen Demagogie. Die Scheiterhaufen der brennenden Bücher waren ein Fanal für die kommende Weltkatastrophe. Die prophetischen Worte aus Heinrich Heines Tragödie "Almansor" wurden auf entsetzliche Weise wahr: "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen."

"Säuberung" der Universitäten
Hand in Hand mit der "Säuberung" der deutschen Literatur ging die "Säuberung" der deutschen Universitäten. Man "säuberte" sie zum Beispiel von dem Nobelpreisträger Albert Einstein oder von Siegmund Freud oder dem Nobelpreisträger für Physik Frank oder den Nobelpreisträgern für Chemie Loewy und Haber (dem Erfinder des künstlichen Stickstoffs). Man "säuberte" die Kunst von den weltberühmten Malern und Bildhauern Max Liebermann, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz und Hunderten anderer. Man "reinigte" die deutschen Theater von denen, die sie zu den ersten der Welt gemacht hatten: Max Reinhardt, Erwin Piscator und andere. Man entfernte in der Oper die weltberühmten Dirigenten Bruno Walter, Erich Kleiber, Klemperer und andere. Aus der Musik wurden eliminiert: Schönberg, Hindemith, Weill, Eisler, Fritz Kreisler, und auch nicht mehr Lebende wie Mendelssohn oder Offenbach usw.
Verfolgt von den Faschisten begingen Selbstmord die Schriftsteller Walter Hasenclever, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Walter Benjamin, Carl Einstein, Ernst Toller, Jochen Klepper, Ernst Weiss und andere.
Alfred Kerr schrieb 1947: "Hitler wusste, warum er die Künstler, alle Künstler, durch den Scheiterhaufen der 'entarteten Kunst' zum Schweigen verurteilte. Weil von wahrer Kunst Schärfung des Gewissens, Stärkung des Geistes, Kritik an der Halbheit ausgeht, weil sie Aufruf zur höchsten Menschlichkeit ist."
Albert Camus notierte am 7.6.1944 im "Combat": "Nichts wird den Menschen geschenkt, und das wenige, das sie erobern können, muss mit ungerechtem Sterben bezahlt werden."

Der Widerstand blieb
Von einem wissen wir, dass seine Bücher nicht verbrannt wurden. Oskar Maria Graf veröffentlichte daraufhin in der Volksstimme, dem Organ der Sozialdemokratischen Partei für das Saargebiet, am 15. Mai 1933 seinen oft nachgedruckten Protest "Verbrennt mich!", worauf er ausgebürgert wurde - später widmete ihm Bert Brecht ein großartiges Gedicht mit dem Schlußsatz: "Ich befehle Euch: verbrennt mich!"
1960 schrieb Oskar Maria Graf in einer "Nachschrift zu diesem Protest": "Der Rebell ... handelt ... einzig und allein aus einer grundmenschlichen Empörung gegen jeden Missbrauch der Schwächeren durch die Stärkeren, aus der erlittenen Einsicht, dass Unrecht und Unmenschlichkeit, niederträchtiger Massenbetrug und chauvinistische Völkerverhetzung gemeine Verbrechen asozialer Machthaber sind. Das macht ihn zum Sozialisten. ... Mehr als für jeden anderen Menschen besteht für ihn die Verpflichtung, zu jeder Zeit und mit allen seinen Kräften dafür einzustehen und zu kämpfen, was im Grunde alle wahrhaft sozialistischen Parteien erringen wollen: eine Gesellschaftsordnung, in welcher der einzelne und die Völker das gleiche Recht erhalten, in Frieden und Freiheit am Aufbau einer glücklichen Welt mitzuwirken. Danach habe ich stets zu handeln versucht, und jeder der dafür kämpfte - ganz gleich, ob er sich nun Kommunist, freier Sozialist oder Sozialdemokrat nannte - war und ist für mich ein Genosse. Dafür haben viele meiner Freunde, und nicht nur Arbeiter, sondern auch Geistige, gläubige Christen und Priester, die Folterungen in den Konzentrationslagern oder den Märtyrertod erlitten. Dies je zu vergessen, hielte ich für einen schamlosen Verrat".
Erinnerung wachhalten - um der Zukunft willen. Die Worte von Oskar Maria Graf sind heute aktueller denn je.

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2003 J. Kaiser