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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2003



In ganz Europa betriebliche Aktionen gegen den Krieg:

Vier Stunden Warnstreik in Griechenland

von Anne Rieger

Historischer Augenblick
Erstmals in seiner 30jährigen Geschichte rief der Europäischen Gewerkschaftsbund zu europaweiten betrieblichen Aktionen auf. Der Aufruf gegen den zu jenem Zeitpunkt drohenden Irakkrieg stellt eine neue Dimension des gemeinsamen Kampfes der europäischen Gewerkschaften dar. "Das ist ein historischer Augenblick. Eine solche Arbeitsniederlegung in ganz Europa hat es noch nie gegeben", urteilte Cándido Méndez, Vorsitzender des spanischen Gewerkschaftsverbandes UGT. Die drohende Gefahr des Krieges, der Druck aus den Betrieben, veranlasste den EGB am Freitag, den 7.3.2003 in Athen zu folgenden Beschluss: "Der EGB ruft anlässlich der Sitzung des UN Sicherheitsrates für den 14. März 2003, 12.00 Uhr zu europaweiten betrieblichen Aktionen für den Frieden auf." Die neue Qualität bestand darin, dass zu "betrieblichen" gemeinsamen Aktionen aufgerufen wurde, und dass es gemeinsame Antikriegsproteste waren.

Aktionen ohne Ende
Mehrere hunderttausend Beschäftigte in Betrieben, Verwaltungen und Bildungseinrichtungen sind allein in Deutschland dem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes "10 Minuten gegen den drohenden Irak-Krieg" gefolgt. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden., lautete das Motto der bundesweiten Aktion von 11.50 bis 12.00 Uhr.
Die Freisinger Postler warteten nicht bis Mittag um gegen den drohenden Irakkrieg zu demonstrieren. Vor rund 80 Teilnehmern sprachen bereits um 6.00 Uhr morgens der Vorsitzende der ver.di Betriebsgruppe Freising Andreas Faltermaier und der Vorsitzende von ver.di München Heiner Birner. Allein in Baden-Württemberg und im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen unterbrachen jeweils Hunderttausende in Betrieben, Verwaltungen und Schulen für zehn Minuten ihre Arbeit, In Niedersachsen 50.000. Bei den Autokonzernen DaimlerChrysler, Audi und Volkswagen wurden für diese Zeit die Bänder angehalten. Im Opel-Werk in Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) folgte fast die gesamte Frühschicht (2000 Mitarbeiter) dem Aufruf der Gewerkschaften.
Zehntausende Beschäftigte aus Betrieben auch der anderen Branchen ließen in Bochum, Düsseldorf und Köln für zehn Minuten die Arbeit ruhen. In Halle (Sachsen-Anhalt) stoppten für fünf Minuten die Straßenbahnen.
In vielen anderen Betrieben - auch mittleren und kleinen - wurden neben Kundgebungen vor den Toren mit innerbetrieblichen Aktionen an den Frieden gemahnt: Infos/Flugblätter am Tor, Abteilungsversammlungen, Infoveranstaltungen, Mahnminuten am Arbeitsplatz und anderes mehr. In einem Betrieb wurden Kerzen angezündet, in einem anderen Luftballons steigen lassen oder eine Tafel vor dem Tor aufgestellt, auf der die Beschäftigten gegen den Krieg unterschreiben konnten. Bei DaimlerChrysler in Kassel standen ca. 200 Beschäftigte vor den Toren des Achsenwerkes mit Transparenten "Wir brauchen Arbeit, keinen Krieg". "Wir haben als deutsch-amerikanischer Konzern die Verpflichtung, uns zu Wort zu melden und nicht zu schweigen", rief Betriebsratsmitglied Dieter Seidel ins Mikrofon. "Die Mehrheit der Bevölkerung in den europäischen Ländern spricht sich gegen einen Krieg aus." Bei Alcatel in Stuttgart werden morgens vor dem Betrieb Flugblätter verteilt. Um 11 Uhr versammeln sich die Beschäftigten vor dem Betriebsratsgebäude unter dem Motto "Alcateler sagen Nein zum Krieg gegen den Irak" und verfolgen die Ansprache ihres Betriebsratsvorsitzenden Alois Süß. Der DGB-Landesvorsitzende Rainer Bliesener sprach bei der Firma ZF Bietigheim, wo sich die Beschäftigten im Hof versammelten. Die Aktionen allein in Deutschland aufzuzählen würde Seiten füllen.

Arbeitgeber messen mit zweierlei Maß
Auch bei Allgaier beteiligten sich die Arbeitnehmer, trotz Drohungen ihres Arbeitgebers Dr. Hundt - dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes - an den Anti-Kreigs-Minuten. Auch in anderen Betrieben gab es Verbote bis hin zur Androhung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen der Arbeitgeber. Noch am 11. September 2001 hatten die Arbeitgeber anlässlich der Tausenden Toten in New York und Washington gemeinsam mit den Gewerkschaften zu Mahnminuten aufgerufen. Offensichtlich messen sie Menschen mit zweierlei Maß. Es ist beschämend zu erfahren, dass tote Amerikanern den Arbeitgebern mehr wert zu sein scheinen, als tote irakische Menschen. Aus dem Verhalten dieses Teils der Unternehmer stellte sich wieder mal die Frage, ob Demokratie und Demonstrationsfreiheit an den deutschen Werkstoren aufhört?

Kultusministerin tritt dem Aufruf nicht bei
Dem Aufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) folgten auch Schulen im Südwesten. In einem Brief an Kultusministerin Annette Schavan bittet der GEW-Landesvorsitzende Rainer Dahlem um die Unterstützung für den Aufruf. "Mit diesem europaweiten Protest wollen wir ein Zeichen gegen den drohenden Krieg und für die Ausschöpfung aller diplomatischen Mittel zur Entwaffnung des Irak setzen. Wir wollen damit aber auch die an den Schulen spürbare Sorge und Unsicherheit bei Schülerinnen und Schülern aufgreifen und zum Thema machen. Wir wollen damit auch eine Möglichkeit schaffen, dass Schülerinnen und Schüler am demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilhaben können. Ich möchte Sie heute ganz herzlich bitten, sich dem Aufruf der GEW anzuschließen und die Schulen zu einer Teilnahme zu ermuntern. Zumindest aber sollte sichergestellt sein, dass die Beteiligung der Schulen an Aktionen seitens des Kultusministeriums zugelassen wird", schreibt Dahlem an Schavan.
Das Kultusministerium teilte auf Anfrage der GEW mit, dass es dem Aufruf nicht beitrete und nicht zu derartigen Aktionen während des Unterrichts ermuntere. Es sei aber den Schulleitern freigestellt, sich an der Aktion zu beteiligen.

Europaweiter Erfolg
Tausende Menschen folgten dem Appell allein in Spanien. In Griechenland fand ein vierstündiger Generalstreik statt. Auch in anderen europäischen Ländern, etwa in Frankreich, Italien und Bulgarien, gingen am Freitag Tausende für den Frieden auf die Straße.
Vier Wochen nachdem Millionen eindrucksvoll weltweit gegen den geplanten Krieg der Bush-Administration demonstrierten, unterbrachen Beschäftigte in Betrieben, Verwaltungen und Bildungseinrichtungen ihre Arbeit und setzten damit ein qualitativ neues Zeichen ihres Friedenswillens. Zu Recht sprach der baden-württembergische DGB-Vorsitzende Rainer Bliesener von einem Erfolg.
Erstaunlich, was Beschäftigte und ihre Gewerkschaften in der äußerst kurzen Vorlaufzeit in den Betrieben an Protesten zustande brachten. Der Beschluss des DGB war erst am Montag gefasst, am Freitag aber schon umgesetzt worden. Dass es möglich war, in nur drei Tagen europaweit zeitgleich Aktionen dieses Ausmaßes zu organisieren, macht die entschiedene Antikriegshaltung der Menschen deutlich.

Mängel
Klar, es gab auch Mängel bei diesem ersten europaweiten, gemeinsamen betrieblichen Protest: Im Aufruf fehlte die Forderung an alle europäischen Regierungen - auch an die Bundesregierung - sich in keiner Weise, weder direkt noch indirekt, am Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Es fehlte die Ablehnung der EU-Armee. Es fehlt der Zusammenhang zwischen Aufrüstung der Bundeswehr zur Interventionsarmee und dem gleichzeitig stattfinden Sozialabbau und den völlig ungenügenden Bildungssausgaben.
Es fehlt der Ansatz einer längerfristigen Kampagne gegen den Krieg, die Aktion darf keine Eintagsfliege bleiben, wenn wir nachhaltig Kriege verhindern wollen. Schlussendlich darf frau sich auch fragen, ob denn der Beschluss tatsächlich nur so kurzfristig gefasst werden konnte - schließlich war der Termin der geplanten UNO-Sicherheitsratssitzung bereits am 16. 2. in der Diskussion. Die Gewerkschaften sind ein großer Tanker, und es braucht immer eine gewisse Vorlaufzeit, um in anzustoßen, damit er in Fahrt kommt. Da wäre beim nächsten Mal noch viel mehr drin.
Bedauerlich auch, dass die Aktion nicht koordiniert ausgewertet und der Erfolg gegenüber der Presse und den Belegschaften "kommuniziert" wurde. Das hätte den Druck gegen die Kriegsparteien enorm erhöht und Mut gemacht, am Tag des Kriegsbeginns auch in den Betrieben zu protestieren.

Druck von unten
Aber was soll's: Wir haben es ja zum ersten Mal geübt - beim nächsten Mal können wir alle es besser - auch der EGB wird schneller reagieren, wenn wir von unten mehr Druck machen. Das scheint mir das entscheidende zu sein: Der Aufruf zur europaweiten Aktion des EGB fiel nicht vom Himmel. Viele Beschlüsse wurden auf unteren und mittleren Ebenen der verschiedenen Gewerkschaftsgliederungen gefasst, um die Einzelgewerkschaften, den DGB und EGB zu den europaweite Friedensaktionen zu gewinnen. Wenn wir wollen, dass diese Friedensaktion keine Eintagsfliege bleibt, wenn wir Druck auf unsere Regierung machen wollen, dass sie die Überflugrechte den Kriegsparteien verweigert, deutsche Soldaten aus den Awacs Kriegsmaschinen und Fuchsspürpanzern zurückzieht, wenn wir wollen, dass sie auch jede - auch noch so kleine - indirekte Kriegsbeteiligung aufgibt, müssen wir weiterhin Beschlüsse an der Basis fassen und für deren Umsetzung sorgen.

Nicht nachlassen
Wir haben erreicht, das der DGB und die meisten Einzelgewerkschaften gegen den Angriffskrieg auf die irakischen Menschen protestieren, dass sie uns aufrufen, uns an den Demonstrationen zu beteiligen, dass die stellvertretende DGB-Vorsitzende am Tag des Kriegsausbruchs auf einer Antikriegs-Kundgebung gesprochen hat, dass der DGB Vorsitzende Michael Sommer am 29.3. in Berlin spricht, das Frank Bsirske bereits zweimal auf Antikriegskundgebungen gesprochen hat, das es selbstverständlich geworden ist, dass Gewerkschafter aller Ebenen auf Friedenskundgebungen sprechen wollen, dass der Bundesvorstand sogar eine web-Seite eingerichtet hat, "Stoppt den Krieg gegen den Irak", auf der die Aktionen, und Demonstrationen des DGB, der Mitgliedgewerkschaften und der Friedensbewegung jederzeit abzurufen sind:
http://www.dgb.de/termine/aktionen_demonstrationen.pdf.
Ein großer Schritt, den wir erreicht haben, aber er reicht nicht aus. Es ist notwendig, gegen den Hauptkriegstreiber, die US-Administration zu argumentieren. Aber wir brauchen eine noch viel stärkere, nachhaltige Mobilisierung gegen den Krieg auch aus den Gewerkschaften heraus um ihn zu stoppen. Wir waren viele, aber wir waren noch nicht genug. Dazu brauchen eine gewerkschaftliche Stellungnahme zur der Interessenlage der US-Öl- und Rüstungsindustrie in diesem Krieg. Ursula Engelen-Kefer hat in ihrer Rede dazu nicht gesagt.
Wir brauchen aber auch eine Ablehnung unserer Gewerkschaften des Auf- und Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee. Wir brauchen die Ablehnung der EU-Armee. Wir brauchen die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Sozialabbau, Bildungsmisere und Rüstungshaushalt.
Rüstungskonversion und Standortkonversion muss wieder zum gewerkschaftlichen Thema werden. Packen wir`s an - es ist nicht leicht - aber gerade hören uns die Kolleginnen und Kollegen auch bei Friedensthemen zu - obwohl sie der Angst um den Arbeitsplatz und dem Lohn- und Sozialabbau massiv ausgesetzt sind.

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