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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2002



So geht's doch auch - Freiburger Aktion setzt neue Maßstäbe:

20.000 erfolgreich gegen Neonazis

von Elke Günther

Es war die wohl mit Abstand größte Antifa-Aktion in der Geschichte Baden-Württembergs: Freiburg, die "Offene Stadt" zeigte den Braunen die rote Karte. Rund 20 000 BürgerInnen protestierten am 14. September friedlich "gegen Fremdenhass und Rassenwahn".

Doch blicken wir zunächst zurück: Vor zwei Jahren war in Freiburg die Aktion "Für eine offene Stadt" ins Leben gerufen worden. Diese Variante des "Aufstands der Anständigen", mit der auch an die Freiburgerin Gertrud Luckner erinnert werden sollte, die von den Nazis ins KZ verschleppt worden war, weil sie Juden geholfen hatte, sollte sich später als ungleich stabiler und konsequenter erweisen als die meisten, aus dem selben Anlaß begonnen und oft recht kurzatmigen Bemühungen andernorts. Daß das so ist, hat natürlich Ursachen, die in den politischen Verhältnissen in der Universitätsstadt liegen. Seit Anfang Juli 2002 steht mit Dieter Salomon ein grüner Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt.

NPD Provokation blieb zunächst "geheim"
Ausgerechnet die NPD fühlte sich von dem Slogan: "Freiburg - offene Stadt" eingeladen: "die NPD wird diese Einladung annehmen" hieß es in einer Presseerklärung des NPD-Landesverbandes. Die Nazis meldeten für den 14. September eine "bundesweite Großdemonstration" mit erwarteten 2000 Teilnehmern beim Amt für Öffentliche Ordnung an. Die Anmeldung war bereits im März erfolgt. Verhandlungen über Kundgebungsort und Route durch die Innenstadt waren seit mehr als drei Monaten am Laufen, als die Öffentlichkeit von dem geplanten Nazi-Auftrieb - der erste seit über 35 Jahren - erfuhr.

"Mit allen rechtlichen und politischen Mitteln"
Die Nachricht sorgte für beträchtliche Empörung. Der Vorsitzende des DGB Region Südbaden-Hochrhein, Jürgen Höfflin, lud zu einem ersten Treffen ein mit dem Ziel, die angekündigte Provokation zu verhindern. Das sehr breite "Bündnis gegen Rechts", an dem sich zahlreiche Gruppen und Organisationen, darunter auch kirchliche Kreise, beteiligten, entstand. Der vom Bündnis herausgegebenen Aufruf: "Für eine offene Stadt - Gegen Fremdenhaß und Rassenwahn", in dem es u.a. heißt: "Auf unseren Straßen ist weder Platz für Ideologien, die Menschen in nützliche und unnütze unterteilen, noch für rassistische und antisemitische Parolen" wurde von zahlreichen Organiationen und Einzelpersonen unterstützt. Die BürgerInnen werden darin aufgerufen, "sich laut, bunt und kreativ den Nazis gewaltfrei und friedlich in den Weg zu stellen." Der Oberbürgermeister Dieter Salomon versprach, sich mit "allen rechtlichen und politischen Mitteln" gegen den "rechtsradikalen Spuk" wehren zu wollen.
Bei soviel antifaschistischem Engagement konnte der Verfassungsschutz nicht untätig bleiben. Der durch seine Äußerung "Wenn Rechte Ausländer jagen, ist der Aufschrei groß, wenn Linke aber z.B. bei Veranstaltungen der Republikaner Autoreifen zerstechen, dann wird das stillschweigend hingenommen" bereits hinlänglich qualifizierte Vizepräsident des baden-württembergischen Verfassungsschutzes Hans-Jürgen Doll, sah im Verbot des NPD-Aufmarsches "eine unnötige Aufwertung der NPD".

Pawlowsche Reaktion beim Verfassungsschutz
Freiburg liefere ein "besonders krasses Beispiel" dafür, wie man mit gut gemeinten Aktionen alles nur noch viel schlimmer machen könne. Die Freiburger Verbotsverfügung trage "nicht nur die Rechtswidrigkeit auf der Stirn, sie ermuntert auch zur Gewalt" erklärte Doll in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten. Da half es nichts, daß der Freiburger Polizei keinerlei Hinweise auf gewalttätige Aktionen vorlagen. Wo ein amtlicher Wille ist, ist die erforderliche linke "gewaltbereite Gruppe" schnell gefunden: Im Internetangebot der Stadt fand sich ein Link, das zur Seite des Motorradclubs "Kuhle Wampe" führte und von dort wiederum verlinkt war mit der Internetseite einer bis dato nicht weiter in Erscheinung getretenen "Mundartgruppe" mit dem Namen "Auf die Goschen", die angeblich dazu aufrief, den anrückenden Nazis mit etwas älteren landwirtschaftlichen Produkten entschieden entgegenzutreten. Darüber hinaus blieb den Verfassungsschützern nicht verborgen, daß auch die "üblichen Verdächtigen", nämlich VVN-BdA, DKP, Linke Liste/Friedensliste zum Aufruferkreis "Für eine offene Stadt" gehörten. Was Doll zu dem Kommentar: "Der anti-totalitäre Konsens funktioniert nach rechts, aber nicht nach links" veranlaßte. Die Freiburger VVN-BdA vermutete, daß hinter der "schmierigen Kampagne der NPD-Finanziers" - der Versuch steckt, von eigenen personellen NPD-Verstrickungen abzulenken. VVN-BdA Bundes- und Landessprecher Werner Pfennig bezeichnete Doll "als eine Art Geheimwaffe zum Schutz von Nazi-Veranstaltungen". Demokraten die das Grundgesetz ernst nähmen, müssten sich offen und konsequent allen nazistischen Umtrieben entgegenstellen.

"VS-Fiffi" Doll: Geheimwaffe von NPD und CDU
Den Vorwurf, mit der Protestaktion gegen den NPD-Aufmarsch zur Gewalt zu ermuntern, wies OB Salomon als "Unverschämtheit" zurück. Im übrigen werde das größere Problem am Ende doch wohl eher sein, daß man bei einer NPD-Kundgebung - wenn sie denn stattfindet - nicht weiß, wer von der NPD vom Verfassungsschutz ist.
"Ich lasse mich von einem stellvertretenden Verfassungsschutz-Fiffi als gewählter Oberbürgermeister von Freiburg nicht so anmachen. Der kriegt von mir einen Beschwerdebrief, aber gleich an den Innenminister", erklärte Salomon. Es kam nun wie es kommen mußte: CDU-Innenminister Schäuble sprang "Verfassungsschutz -Fiffi" Doll zur Seite und bezeichnete das "Bündnis für eine Offene Stadt" als "unerträglich". Die Vorsitzenden der örtliche CDU übernahmen die Vorwürfe des Verfassungsschutzes, traten aus dem "linksextremistisch beeinflussten" Bündnis aus, und erklärten, an der Kundgebung gegen die NPD, die im Freiburger Gemeinderat am 23. Juli noch einstimmig beschlossen worden war, nicht teilnehmen zu wollen. Zuvor hatte der CDU-Kreisvorsitzende u.a. gefordert DKP und VVN-BdA aus dem Bündnis auszuschließen. Die mächtige, breite, bunte und friedliche Aktion, die zu einem fröhlichen Fest wurde, fand ohne CDU-Beteiligung statt.

"Wegschauen ist kein Rezept"
Bereits am Vormittag hatten sich zur zentralen Kundgebung von Stadt und DGB auf dem Platz der Alten Synagoge rund 15.000 Menschen versammelt. Oberbürgermeister Salomon bezeichnete in seiner Begrüßungsansprache die Demonstration als richtige Antwort auf die Naziprovokation: "Verharmlosen und Wegschauen sind keine Rezepte gegen Neonazis." Der DGB-Landesbvorsitzende Rainer Bliesener ging in seiner Rede auf die Angriffe des Verfassungsschutzvizepräsidenten Doll ein und betonte: "Wir grenzen niemand aus, der bereit ist, friedlich gegen die NPD zu demonstrieren. Deshalb identifizieren wir uns aber noch lange nicht mit dessen politischen Zielen." Ignorieren, Wegsehen und Totschweigen sei keine Alternative im Umgang mit der NPD. "Sollen denn die Demokraten zu Hause bleiben und den Nazis die Straße überlassen?" Der Gewerkschafter forderte ein Verbot der NPD als Baustein in einem Bündel von Maßnahmen gegen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus. SC-Freiburg-Trainer Finke wies darauf hin, dass Sport immer wieder missbraucht wurde und wird. Er könne nicht verstehen, dass auf dem Fußballplatz im besten Sinne des Wortes multikulturellen Mannschaften zugejubelt wird von Menschen, die offen sind für ausländerfeindliche Gedanken und und Handlungen.
Der Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens rief in seiner vielbejubelten Rede dazu auf, ein "Gegenzeichen" zu setzen. "Überlassen wir den militanten Rechten, die von den Fremden, den Ausländern, den Juden oder den Islamisten, und, Ihnen gegenüber, den Eigenen, den Deutschen sprechen, nicht das Feld." Es gelte in einem toleranten Gemeinwesen "grenzensprengend zu denken, Trennung zu überwinden und all jene zu ehren, die schwächer, hilfloser und ärmer sind als wir, und die unseres Beistands und unserer Zivilcourage bedürfen."

Nazis gemeinsam gestoppt
Der Widerstandskämpfer Peter Gingold fand leider wenig Zuhörer, weil alles zum Bahnhof eilte, denn dort waren gerade etwa 150 Anhängern der NPD angekommen. Einge mußten ihre Springerstiefel ausziehen, weil das gegen die Auflagen des Ordnungsamts verstieß. Versuche, sich trotzdem zum Marsch zu formieren, scheiterten an der großen Zahl von Gegendemonstranten, die verhinderten, daß die Nazis vom Platz kamen. Polizeichef Mayer erklärte schließlich, daß es bei der großen Menge von Gegendemonstranten nicht möglich sei, der NPD "den Weg freizugeben". Die NPD-Anhänger wurden in einen Sonderzug verfrachtet, der sie nach Riegel transportierte.

Eine Aktion, die Mastäbe setzt
Eine durchweg gelungene Aktion, die beispielhaft zeigt, was möglich ist, wenn der "Aufstand der Anständigen" auf den "Anstand der Zuständigen" trifft und dadurch verstärkt wird. Ein großartiges Beispiel auch dafür, daß große Bündnisbreite und inhaltliche Klarheit durchaus zusammen gehen können. OB Salomon hat mit seinem couragierten Auftreten und seiner Weigerung, sich vor den Karren der amtlichen Verfassungsschützer spannen zu lassen, Maßstäbe gesetzt, an denen sich andere Stadtoberhäupter in ähnlichen Situationen künftig werden messen lassen müssen.

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