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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2002



Noch kann der Krieg im Irak verhindert werden:

Welche Chancen hat die Antikriegsbewegung?

von Dieter Lachenmayer

Am 28. September fand mit 350000 Menschen in London die größte Friedensdemo statt, die Großbritannien je erlebt habt. In Italien demonstrierten Anfang Oktober landesweit Hundertausende. In vielen anderen Ländern nimmt der Widerstand gegen den in aller Öffentlichkeit angekündigten und vorbereiteten Krieg gegen den Irak zu.

Tatsächlich fällt es immer schwerer, auch nur die intellekuellen Zumutungen, die mit der Kriegsvorbereitung einhergehen zu ertragen. Während US- und andere Politiker, UNO-Diplomaten und Leitartikler weiterhin in verbissenem Ernst von der Durchsetzung der UN-Resolution über Waffeninspektionen reden, ist die Öffentlickeit nicht mehr bereit, eine derart gespenstisch offen vorgetragene Publikumsverarschung hinzunehmen. Insider lachen sich darüber hinter den Kulissen schon lange kaputt. Nachdem nun auch der US-Außenminister mit seiner Äußerung, man werde die Einreise der Inspektoren zu verhindern wissen, den letzten Lack vom Kriegsvorwand genommen hat, dringt das Lachen immerhin schon bis in die Karikaturen der Tageszeitungen vor.
Man muß sich nicht mit den dünnen "Beweisen" Tony Blairs oder der CIA befassen, um mittlerweile zu wissen, daß es nicht um die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak geht, sondern um sein Öl: Die US-Regierung verkündet seit langem offen: sie will einen Machtwechsel zu ihren Gunsten im Irak.

Demontage der UNO
Verbunden mit der intellektuellen Zumutung ans Publikum ist eine vollkommene Demontage der UNO als Instanz zur Wahrung des Völkerrechts. Die US-Adminstration betreibt derzeit offen ihre Erpressung: Wenn die UNO nicht die Außerkraftsetzung des Völkerrechts selbst betreibt und die USA zum Krieg ermächtigt, so das Ultimatum der USA, dann führen die USA den Krieg eben ohne UNO. Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera - am Ende steht immer der Krieg, der unverhohlene Bruch des Völkerrechts und die Entwertung der UNO. Entweder erweist sie sich (im schlimmeren Falle) als würdelos erpressbar oder als hilflos gegenüber der Arroganz der Macht.
Auf der anderen Seite gibt es viele Anzeichen dafür, daß die derzeit so salopp vorgetragene Entschlossenheit der USA zum Krieg durchaus noch gestoppt werden könnte.

Zeichen der Schwäche
So drückt sich in der oben geschilderten Erpressung der UNO nur auf den ersten Blick ein ungetrübtes Selbstbewußtsein der Kriegsplaner aus. Ursprünglich war der seit Anfang des Jahres angekündigte Krieg gegen den Irak ganz ohne Einschaltung der UNO geplant gewesen. Die Resolutionen der Jahre 1990 und 91 sollten als vage Kriegslegitimation zurechtinterpretiert werden. Daß Präsident Bush im September vor der UNO-Vollversammlung begann, eine neue UNO-Resolution zu erpressen bedeutet ein Umschwenken im bis dahin geplanten Vorgehen, das ohne den breiten internationalen Druck nicht erforderlich gewesen wäre. Ein erstes Zeichen dafür, daß die Position der USA schwächer sein könnte als sie nach außen zelebriert wird.

Militärische Probleme
Der Aufmarsch der ca. 500000 Soldaten, die im letzten Golfkrieg eingesetzt wurden, dauerte fast ein halbes Jahr. Es mag neue Waffen und neue Strategien geben, die noch stärker auf die Zerstörung aus der Luft und auf die Hilfe einer (bisher nicht in diesem Umfang sichtbaren) bewaffneten irakischen Opposition setzen. Aber ohne Aufmarsch und militärische Kooperation irakischer Nachbarstaaten ist ein Krieg mit dem Ziel des Regimesturzes auch den Experten schwer vorstellbar.
Die militärische Unterstützung für diesen Krieg ist aber bisher außerordentlich gering. Außer Kuweit, Bahrein und Israel hat sich noch kein einziger Staat der Region zu einer solchen Unterstützung bekannt. Zwar sind Illusionen in dieser Frage fehl am Platze. Unter der Hand werden die Luftstützpunkte der USA in der Region, in Kuweit, Bahrein und auch in Saudi Arabien schon seit Monaten ausgebaut und aufgerüstet. Die Nachbarstaaten des Irak sind durch US Militärmacht und US Wirtschaftskraft erpressbar oder kaufbar. Der Türkei wurden bereits 10 Milliarden und eine Annäherung an die EU versprochen, Saudi Arabien steht unter der Drohung als Terror- und Schurkenstaat behandelt zu werden. Ein ehem. jordanischer Kronprinz wird als Saddams Nachfolger von US-Gnaden gehandelt.
Dennoch liegt der mangelnden Unterstützung des Krieges ja nicht die moralisch politische Ablehnung der jeweiligen Regimes- und Herrscherhäuser zugrunde, sondern die Undurchsetzbarkeit des Krieges bei der eigenen Bevölkerung. Das sind Faktoren die nicht einfach und nicht in jedem Falle wegkorrumpiert werden können. Auf alle Fälle ist es für die Chancen zur Verhinderung des Krieges ein gutes Zeichen, daß ein umfangreicher Aufmarsch von Bodentruppen bisher nicht erfolgen konnte.

Mangelnde internationale Begeisterung
Auch die internationale politische Unterstützung des US Kriegs-Kurses ist anders als beim Krieg 1991 außerordentlich dünn. Im Sicherheitsrat stehen die ständigen Mitglieder Frankreich, China und Russland den Angriffsplänen ablehnend bis verhalten gegenüber. Vorbehaltlos unterstützt werden die USA dort nur von der britischen Regierung. Zwar gilt auch hier, daß es sich kaum eines der ständigen Mitglieder leisten kann, auf die Dauer einem massiven US-Druck zu widerstehen, aber auch für die USA könnte sich das Brechen des Widerstandes als außerordentlich teuer und möglicherweise erfolglos herausstellen.
Innerhalb der europäischen Union unterstützen Großbritannien, Italien und Spanien den Kriegskurs. Frankreich, kriegsführender Staat im letzten Golfkrieg hat signalisiert, daß es nur auf gesicherter UN-Grundlage beteiligen werde, die Bundesregierung hat sich eindeutig gegen den Krieg (ob mit oder ohne Mandat) positioniert. Nun ist Europa angesichts der Weltmacht USA nicht der Nabel der Welt, aber ein politisches Leichtgewicht stellt der zweitgrößte Wirtschaftsblock mit seinen faktischen Führungsmächten Frankreich und Deutschland ebenfalls nicht dar.

Weltweite Antikriegsbewegung
Als wichtigster Faktor bei der Verhinderung des Krieges könnte sich die Weltweite Antikriegsbewegung herausstellen. Fast überall, zumal in Europa lehnt die übergroße Mehrheit der Bevölkerung den Krieg gegen den Irak eindeutig ab. Vor allem in den europäischen Ländern, deren Regierungen eine Kriegsunterstützung betreiben haben sich ungewöhnlich starke Antikriegsbewegungen gebildet.
Auch in den USA findet der Krieg immer weniger Zustimmung in der Bevölkerung. Auch dort bildet sich eine starke Antikriegsbewegung heraus. 4000 US Prominente haben im September einen Aufruf "Nicht in unserem Namen" in der New York Times inseriert. Regisseure und Schauspieler wie Susan Sarando, Oliver Stone, Robert Altman, Jane Fonda, Danny Glover, Wissenschaftler wie Noam Chomsky, Edward Said und Judith Butler, bekannte Bürgerrechtler wie Martin Luther III, Angela Davis und viele andere. Der Schriftsteller Norman Mailer und selbst Ex-Präsident Jimmi Carter haben sich unabhängig davon eindeutig gegen den Kriegskurs der US-Administration ausgesprochen. Demonstrationen und Kundgebungen der Friedensbewegung in den USA nehmen zu und finden, häufig unbeachtet von der europäischen (wie der us-amerikanischen Presse) zunehmende Teilnehmerzahlen. Für den 26. Oktober sind große Aktionen in mehreren großen Städten geplant.

Wer, wenn nicht wir?
Auch in Deutschland braucht sich die Friedens- und Antikriegsbewegung nicht zu verstecken. Die großen Aktionen im Oktober 01 und anläßlich des Bush-Besuchs im Mai 02, vor allem auch die viele Kleinarbeit landauf, landab haben sichtbar Wirkung hinterlassen. Nur unter dem Eindruck der überwiegenden Kriegsablehnung im Land hat sich die alte Regierung zu einer unerwartet eindeutigen Ablehnung des US-Kriegskurses durchgerungendurchgerungen, die nun auch die wiedergewählte neue Regierung nicht so leicht aufgeben kann. Natürlich gibt es auch hier andere Faktoren als die Friedensbewegung, die diese Politik bestimmen. Die deutschen Konzerne und die deutsche Politik sind nicht gerade scharf auf die weitere Ausdehnung der US-Kontrolle über Öl und Märkte in der Mittel-Ost Region. Dennoch ist die klare politische Konfrontation der Bundesregierung zum US-Kriegskurs nicht nur ein Erfolg der Friedensbewegung, sondern auch ein wichtiger Baustein zur möglichen Verhinderung des Krieges. Voraussetzung ist, daß es gelingt international und hier im Land noch mehr politischen Druck aufzubauen für den Frieden. Ohne viel Arbeit und Engagement wird das nicht gehen. Wir Antifaschistinnen und Antifaschisten werden unseren Beitrag dazu leisten.
Ex-präsident Jimmy Carter:
"USA wandeln sich zum Unrechtsstaat"

... Über das Unrecht in den Ländern, die uns beim Kampf um den Terrorismus unterstützten, haben wir hinweg gesehen. Bei uns im eigenen Land wurden amerikanische Bürger als Feinde inhaftiert, ohne Anschuldigung und ohne juristischen Beistand. Trotz aller Kritik der Bundesgerichte verweigert sich das Justizministerium diesem Problem. Und mit Blick auf die Gefangenen in Guantanamo erklärt der Verteidigungsminister, dass sie selbst dann nicht freigelassen werden würden, wenn sich ihre Unschuld erwiesen hat. All das passt zu Unrechtsstaaten, die von amerikanischen Präsidenten in der Vergangenheit immer verurteilt wurden.
... Wie aber die Verbündeten und auch verantwortliche Politiker früherer Administrationen immer wieder betont haben, gibt es gegenwärtig keine Bedrohung der Vereinigten Staaten durch Bagdad. Angesichts intensiver Überwachung und einer überwältigenden militärischen Übermacht der USA wäre jede kriegerische Handlung von Saddam ein Akt des Selbstmords. So unwahrscheinlich es ist, dass Saddam Nachbarstaaten attackiert, Nuklearwaffen testet, mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen droht oder sie Terroristen zur Verfügung zu stellt, so sehr ist es doch möglich, dass - im Falle eines amerikanischen Angriffs auf den Irak - diese Waffen gegen Israel oder gegen unsere Truppen als Reaktion eingesetzt werden. Wir können die Entwicklung von ABC-Waffen nicht ignorieren, aber ein einseitiger Krieg gegen den Irak ist nicht die Antwort. Unbehinderte Inspektionen im Irak sind dringend. Aber genau das ist offenkundig gar nicht gewollt, wie insbesondere der Vizepräsident mehrfach angedeutet hat. ...
Übersetzung aus der "Washington Post" von Hans Thie in Freitag Nr. 39 / 20.9.2002



Caritas International:
Verweigerte Hilfeleistung

Freiburg, 16. Juli 2002. Caritas international hat das Sanktionssystem des UN-Sicherheitsrats gegen den Irak scharf kritisiert. "Die stockenden Auszahlungen für Humanitäre Hilfe sind ein Skandal", sagt der für den Irak zuständige Referent von Caritas international, Wolfgang Fritz. "Bis Ende Mai waren im Öl-für-Lebensmittel-Programm des UN-Sicherheitsrats unausgezahlte Hilfsprojekte im Wert von 5,2 Milliarden US-Dollar aufgelaufen, davon 4,5 Milliarden US-Dollar für Humanitäre Hilfe." Wegen eines Versäumnisses bei der Finanzierung können außerdem mehr als 2,24 Milliarden US-Dollar an zugesagten UN-Geldern für Humanitäre Hilfe nicht ausgezahlt werden.
"Die jahrelangen Sanktionen gegen den Irak, die auch nach irakischen Zugeständnissen an die Auflagen des UN-Sicherheitsrates nicht gelockert wurden, haben zu unbeschreiblichen Leiden der Bevölkerung geführt", sagt Wolfgang Fritz, der soeben aus dem Irak zurückgekehrt ist. "Niemand weiß, wieviele infolge der Sanktionen gestorben sind, aber nach UN-Angaben sterben immer noch 5.000 - 6.000 Kinder pro Monat an den Folgen des Embargos. Die Sanktionen werden noch viele Jahre zu spüren sein, selbst wenn sie sofort ausgesetzt würden. Eine einst stabile Nation wird systematisch zurückentwickelt, zurückgebildet und auf den Mangel reduziert." ...
Caritas lehnt einen Präventivschlag gegen den Irak zur Terrorismusbekämpfung definitv ab. Dies würde nur zum weiteren Leiden des irakischen Volkes beitragen, die Gefahren des Terrorismus vergrößern und die Vereinten Nation in Misskredit bringen. Caritas international unterstützt im Irak Ernährungsprogramme für Kinder und Mütter mit 250.000 Euro pro Jahr.


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