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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / August 2002



Reutlingen:

Reise nach Auschwitz und Krakau

von Heinz Siefritz

Mittwoch, 22. Mai 2002
Ein historisches Datum? Keine Ahnung! Aber 37 Leute aus Baden-Württemberg haben sich am 22. Mai zur Fahrt der VVN-BdA Kreisvereinigung Reutlingen nach Oswiecim/ Auschwitz zusammengefunden. Einige Kameraden mußten wegen der Tarifrunde sehr kurzfristig absagen.

Donnerstag, 23. Mai
1949 Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Hat Anno 2002 aus unserer Reisegruppe irgend jemand dran gedacht? Wohl kaum! Aber an diesem Tag waren wir in den Vernichtungslagern Auschwitz und Birkenau. Nur eine Besichtigung war es ganz bestimmt nicht. Dieser Begriff ist zu banal, um die Eindrücke und Gefühle wiederzugeben, die auf eine Antifaschistin/Antifaschisten einstürmen. Zu einer bloßen Besichtigung konnte es auch deshalb nicht kommen, weil wir das große Glück hatten, den wohl authentischsten Führer durch die gesamte Anlage zu erhalten. Kein Geringerer als der mittlerweile 82-jährige ehemalige Häftling, erste und langjährige Direktor des Museums Kazimir Smolen, nahm sich die Zeit, uns durch das Stammlager Auschwitz zu führen und uns anschließend auch nach Birkenau zu begleiten. Unser Kamerad Smolen war gleich beim ersten Transport polnischer Häftlinge nach Auschwitz im Mai 1940 dabei und dann bis zum bitteren Ende, auch bei den anschließenden Todesmärschen. Sein Marsch endete erst am 6. Mai 1945, unweit von Mauthausen, wo er und seine Leidensgenossen endlich von amerikanischen Truppen befreit wurden.
Wir waren fasziniert von dem fundierten Wissen, von der, auch chronologisch exakten Schilderung des Aufbaus und der Funktion des Vernichtungslagers Auschwitz. Dieses fast emotionslos vorgetragene Wissen machte auf seltsame Weise betroffen. Genau das war der Anlaß von Fragen, z.B. warum in seinen Erzählungen nicht die Spur von Hass und Verbitterung zu verspüren war, oder die Bitte einer Teilnehmerin, ihr für die unmenschlichen Verbrechen von Deutschen an Millionen unschuldiger Menschen zu vergeben. Smolens Antwort auf derartige Fragen und Bitten war immer nur die Forderung nach Gerechtigkeit. Diese Forderung kam allerdings mit großer Bestimmtheit. Jeder, der dies hörte, konnte aus dieser Antwort nur ahnen, daß für Millionen Betroffene diese Forderung noch lange nicht erfüllt ist. Spontan kommt einem beispielsweise das unwürdige Schachern um die sogenannte Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in den Sinn. Im Hof des Todesblocks 11 durfte unsere Gruppe einen Kranz niederlegen. Kamerad Heinz Siefritz hielt eine kurze Ansprache, in der er darlegte, daß der Aufbau dieser Vernichtungslager nicht aus heiterem Himmel kam, sondern erst, als die Nazis sicher sein konnten, daß es keinerlei Widerstand gegen diese Mordmaschinerie geben würde. Es war ein Weg mit vielen anderen schrecklichen Geschehnissen, die Absichten und Ziele der Nazis klar machten. Siefritz beschrieb die Aufgaben und großen Herausforderungen an unsere eigene Organisation, die sich aus diesen Geschehnissen ergaben und auch heute relevant sind. Er kritisierte gerade an diesem Ort die Verbotspolitik der deutschen Regierungen gegenüber faschistischen und rechtsextremistischen Organisationen und die Behandlung des Artikels 139 GG, der von nicht Wenigen als obsolet bezeichnet wird. Für uns, die VVN-BdA dürfe die Feststellung des Schweizer Historikers Jakob Burkhardt niemals Wirklichkeit werden, der sagte, "daß die Gesellschaft, die ihre Vergangenheit nicht aufarbeite, diese nochmals durchleben müsse". Damit dies niemals geschehe, sei unsere ganze Kraft nötig. Wir sangen zum Schluß dieser kurzen Gedenkfeier unter der musikalischen Beleitung unseres kameraden Jörg Fischer leise das Lied vom Moorsoldaten.
Auffallend war für unsere Gruppe, daß in der gesamten Anlage sämtliche Schilder und Beschreibungen zwar auf polnisch, englisch und hebräisch zu lesen sind, nicht aber auf deutsch. Danach gefragt, erhielten wir die Auskunft, daß dies Sache der deutschen Regierung sei, das entsprechende Geld dafür zur Verfügung zu stellen. Wir denken, daß dies von unserer Organisation unverzüglich aufgegriffen, öffentlich gemacht und eingefordert werden muß.
Viele Teilnehmer unserer Gruppe gingen nach dem offiziellen Teil noch einmal alleine durch das Museum, um die während der Führung entstandenen Eindrücke zu vertiefen. Viele, oft nur mühsam zustande kommende Gespräche zeugten von der großen Betroffenheit, die dieser Tag bei unserer Reisegruppe hervorgerufen hat.

Freitag, 24. Mai
Der nächste Tag führte unsere Gruppe nach Krakow/Krakau, einer geradezu überwältigenden Stadt. Wenn eine Gruppe wie die unsere, noch einmal das ausgesprochen große Glück einer sach- und fachkundigen Führung hat, diesmal durch Frau Maria Bach, eine gebürtige Krakauerin und studierte Germanistin, dann wird eine solche Reise zum echten Erlebnis. Wir waren nach fünfstündiger Führung von dem mit große Engagement vortragenen Wissen um Sehenswürdigkeiten und Geschichte alle müde, aber auch sehr zufrieden. Hochinteressant war die Führung durch das alte jüdische Viertel von Krakau durch das Ghetto und an der Schindler'schen Fabrik vorbei. Dann war der Gang durch die Burg und den Dom angesagt. Hier wurden die Geschichte und der Freiheitswillen Polens sehr deutlich. Die sich anschließende Führung durch die Altstadt Krakaus war obligatorisch. Der absolute Höhepunkt war der sehr große Marktplatz mit der gotischen Marienkirche, wo der Hauptaltar des Nürnberger Meisters Veit Stoß zu bewundern ist. Unweit des Marktplatzes war auch die Universität, wo Meister Kopernikus studierte und lehrte. Den Abschluß des Tages bildete ein Abendessen in einem Jiddischen Lokal, das wir auf Vorschlag unserer Stadtführerin bereits vormittags ausgesucht hatten. Dort wurden wir neben einem typisch jiddischen Essen zwei Stunden von einer vierköpfigen Band mit sowohl fetziger als auch besinnlicher Klezmer-Musik verwöhnt.

Samstag, 25. Mai
Und wieder steht uns eine fünfzehnstündige Fahrt bevor. Unsere Kameraden am Steuer, Manfred und Thomas, meistern auch das mit großer Bravour und Engelsgeduld. Ihnen sowie den Organisatoren der Reise, unserer Kameradin Renate Flohr und unserem Kameraden Helmut Buck, war der Dank aller Teilnehmer sicher.

Den längsten Heimweg hatte anschließend der Bundeskassierer, von dessen guter Ankunft dieser Bericht Zeugnis gibt.

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