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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2002



30 Jahre Berufsverbot:

Betroffene warnen vor neuerlichem Demokratieabbau

Redaktion

"Wer Berufsverbot sagt, bekommt eins". Diese Aussage charakterisiert zutreffend das politische Klima in der Bundesrepublik Mitte der 70er bis weit in die 80er Jahre hinein. Am 28. Januar 2002 jährt sich zum dreißigsten mal der unsägliche "Radikalenerlaß" der Ministerpräsidentenkonferenz. Dies - und der angekündigte weitere Demokratieabbau sind gute Gründe an die Folgen des unsäglichen Erlasses zu erinnern. Gemeinsam mit der Bundesinitiative "Weg mit den Berufsverboten" wenden sich zum Jahrestag Berufsverboteopfer an die Öffentlichkeit:

"Vor 30 Jahren, am 28. Januar 1972, beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt den sogenannten "Radikalenerlass": Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten "Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten", aus dem Öffentlich Dienst ferngehalten bzw. entlassen werden. Mithilfe der "Regelanfrage" wurden etwa 3,5 Millionen Bewerber und Anwärter vom Verfassungsschutz auf ihre politische Zuverlässigkeit durchleuchtet. In der Folge kam es zu 11 000 offiziellen Berufsverboteverfahren, 2 200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbern und 265 Entlassungen. Formell richtete sich der Erlass gegen "Links- und Rechtsextremisten", in der Praxis traf er vor allem Linke: Mitglieder der nicht verbotenen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und anderer linker Gruppierungen, von Friedensorganisationen bis hin zu SPD-nahen Studentenorganisationen. Mit dem verfassungsfremden und zweifelhaften Kampfbegriff der Verfassungsfeindlichkeit wurden missliebige und systemkritische Organistionen und Personen an den Rand der Legalität gerückt, wurde die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs- und Organistionensfreiheit bedroht und bestraft.
Der Radikalenerlass führte zum Berufsverbot für Tausende von Lehrern, Lehramtsbewerbern, Sozialarbeitern, Briefträgern, Lokführern und Juristen. Bis weit in die 80er Jahre vergiftete die staatlich betriebene Jagd auf vermeintliche "Radikale" das politische Klima. Der Radikalenerlass führte zur Einschüchterung nicht nur der aktiven Linken. Die existentielle Bedrohung durch die Verweigerung des erlernten oder bereits ausgeübten Berufes diente der Unterdrückung und Einschüchterung von außerparlamentarichen Bewegungen insgesamt. Statt Zivilcourage wurde Duckmäusertum gefördert.
Erst Ende der 80er Jahre zogen sozialdemokratisch geführte Landesregierungen die Konsequenz aus dem von Willy Brandt selbst eigneräumten "Irrtum" und schafften die entsprechenden Erlasse in ihren Ländern ab. Einige der früher abgewiesenen oder entlassenen Anwärter oder Beamten wurden - meist als Angestellte - übernommen. Viele mussten sich, nach zermürbenden und jahrelangen Prozessen, beruflich anderweitig orientieren. Ein öffentliches Eingeständnis, dass der Radikalenerlass Tausenden von Menschen die berufliche Perspektive genommen und sie in schwerwiegende Existenzprobleme gestürzt hatte, unterblieb. Eine materielle, moralische und politische Rehabilitierung der Betroffenen fand nicht statt.
Eine politische Auseinandersetzung über die schwerwiegende Beschädigung der demokratischen Kultur durch die Berufsverbotspolitik steht bis heute aus. Sie wäre heute dringlicher denn je. Die derzeit geschnürten "Sicherheitspakete" beinhalten die Gefahr, dass erneut unter einem Vorwand - dieses Mal der Bekämpfung des Terrorismus - wesentliche demokratische Rechte eingeschränkt werden. Erneut können kritische Personen und Bewegungen ausgegrenzt und an den Rand der Legalität gedrängt werden.
Der Radikalenerlass und die ihn stützende Rechtsprechung bleiben juristisches, politisches und menschliches Unrecht. Wir, Betroffene des Radikalenerlasses der 70er und 80er Jahre, fordern von den Verantwortlichen in Verwaltung und Justiz, in Bund und Ländern unsere vollständige Rehabilitierung. Wir fordern die Herausgabe und Vernichtung der Verfassungschutzakten, wir verlangen die Aufhebung der diskriminierenden Urteile und eine materielle Entschädigung der Betroffenen.

Januar 2002
Bisherige Erstunterzeichner/innen:
(2.12.01): Sigrid Altherr-König (Esslingen) - Hedrijk Guzzoni (Freiburg - Klaus Lipps (Baden-Baden) - Werner Siebler (Freiburg) - Heinz Siebold (Freiburg)

Bis zum 20. Dezember 2001 werden noch Unterschriften von Betroffenen unter diesen Aufruftext gesammelt. Der Aufruf soll dann bis zum 28. Januar 2002 in Berlin und regional veröffentlicht werden. (www.berufsverbote.de) Von Berufs- und Ausbildungsverboten Betroffene, die diesen Text mit unterzeichnen wollen, melden sich bis zum 20. Dezember 2001 bei Klaus Lipps, Schwarzwaldstr. 51a, 76532 Baden-Baden e-mail: Klaus.lipps@gmx.de Für die dabei entstehenden Unkosten bitte DM 20 pro Unterschrift auf das Konto von Klaus Lipps Kto.Nr. 4 659503 bei der BBBank Karlsruhe BLZ 660 908 00 unter Stichwort "Berufsverbot" überweisen.

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