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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2002



Bundestagsentscheidung und Vertrauensfrage:

Deutsche Soldaten marschieren wieder in den Krieg

Landesvorstand

Der 16. November 2001 war ein "schwarzer Freitag" für die Friedensbewegung. Ein zweites Mal stimmte der Bundestag über eine Kriegsbeteiligung Deutschlands ab und fand, zählt man die taktisch vorenthaltenen Stimmen der CDU/CSU und FDP mal mit, eine überwältigende Mehrheit.

Gerade mal 5 Abgeordnete aus der Regierungskoalition fanden den Mut "Nein" zu sagen zum Krieg. Neun hätten es mindestens sein können, hätten sich nicht die acht KriegsgegnerInnen von Bündnis 90/Die Grünen darauf geeinigt, daß nur vier von ihnen gegen den Krieg stimmen durften, um die Koalition nicht zu gefährden. Trotzdem, Respekt vor den vier Nein-Sagern, darunter Winne Herrmann aus Tübingen.
Hut ab besonders vor der baden-württembergischen SPD-Abgeordneten Christa Lörcher, die das Ausgetretenwerden aus ihrer eigenen Fraktion in Kauf nahm, um ihre Überzeugung nicht zu verbiegen.
Hut ab auch vor den Abgeordneten der PDS, die geschlossen mit Nein stimmten und deren Fraktion damit die letzte Stimme der Friedensbwegung im Parlament darstellt.
Aber was bleibt von der Demokratie im deutschen Bundestag übrig? Während die Meinungsumfragen immer eine mal etwas größere, mal kleinere Hälfte der Bevölkerung als Gegner eines deutschen Kriegseinsatzes ermittelten, brechen die Volksvertreter mit überwältigender Mehrheit alle Wahlversprechen: Aus dem "Nie wieder Krieg", das vor und während der Bundestagsdebatte auf den Straßen in nahezu allen größeren Städten in Hunderten von Aktionen bekräftigt wurde, ist im deutschen Reichstag längst ein "Nie wieder Krieg ohne uns" geworden. Diese Abstimmung im Bundestag lehrt uns erneut das oft gesungene Lied "... müssen wir schon selber tun". Ohne eine breite, starke, außerparlamentarische Friedensbewegung wird ein friedlliche Politik in diesem Lande nicht durchzusetzen sein.

Die Bundeswehr in Kandahar
Entgegen aller Beschwichtigungen, der Krieg in Afghanistan sei ja schon vorbei und die Bundeswehr gar nicht mehr gefragt, verdichten sich (zum Redaktionsschluß) die Anzeichen, daß die Bundeswehr schon dort ist. Am dritten Dezember meldeten die Agenturen, daß "verschiedene Mitarbeiter des Ministeriums jetzt den Einsatz deutscher Verbindungsoffiziere bei Kandahar bestätigten", was offiziell noch immer dementiert wurde.
Tatsächlich ist der Krieg in Afghanistan noch lange nicht vorbei. Noch keinen Tag wurden die opferreichen Bombardements ausgesetzt, kein Tag, davon darf man ausgehen ist bisher vergangen ohne neue "Kollateralschäden" sprich blutige Opfer der Bevölkerung zu fordern.
Alles deutet darauf hin, daß der Krieg erst jetzt auf seinen blutigen Höhepunkt zusteuert: Während sich die Kräfte des Talibanregimes bisher nahezu kampflos zurückgezogen haben, werden sie nun gestellt werden. Jetzt, so erklären die US-Militärs das neue Szenario gehe es darum, die "Terroristen", "aufzuspüren" und "auszuräuchern". Ein Szenario für das das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr geradewegs geschaffen wurde.

"Krieg gegen Terror" - eine Legende
Der bisherige Kriegsverlauf in Afghanistan hat bewiesen, daß diese Art der Kriegführung mit dem proklamierten Kampf gegen den Terror nichts zu tun hat. Das Bombardement hat die Zivilbevölkerung reduziert und die zivile Infrastruktur zerstört - nicht das terroristische Potential. Die Terroristen von New York und Washington brauchten keine staatlichen Strukturen und Ressourcen. Ihre Ausbildung erhielten sie nicht in Lagern, sondern an Universitäten wie in Hamburg und in zivilen und militärischen Flugschulen in den USA. Zur Vorbereitung brauchten sie Computer und Internet. Zur Ausführung Teppichmesser aus dem Baumarkt. Was hätte ihnen dabei eine besonders enge Verbindung zu Afghanistan, oder zu irgend einem anderen armen Land der Welt nützen können?

"Afghanistan ist erst der Anfang"
Dieser Satz stammt von US-Präsident Bush. Er verkündete ihn am 21. November, noch kurz bevor der Parteitag den Grünen den Beschluß des Bundestages absegnete. Als nächstes Kriegsziel (oder besser Kriegsopfer) meldet der britische Sunday Telegraph (wieder zum Redaktionschluß Anfang Dezember) Somalia am Horn von Afrika. Genau dorthin schwimmen derzeit deutsche Kriegsschiffe mit Kampfauftrag. Auf den Einsatz an Land bereiten sich Bundeswehreinheiten mit dem Spürpanzer Luchs vor - gepanzerte Labore, deren Aufgabe es ist, Landstreitkräfte vor atomaren, biologischen und chemischen Verseuchungen zu warnen. Durch welches Gefechtsfeld in Asien oder Afrika werden sie demnächst rollen? Dazu kommen jederzeit mobil und schlagkräftig einsetzbar, die Spezialkommando-Krieger aus Calw. Ein Sanitätsflugzeug steht bereit, die soldatischen Opfer des Krieges zu versorgen.

Vorbereitung für einen großen Krieg
Das Entsetzen der Friedensbewegung über die Entscheidung zum Militäreinsatz betrifft nicht Art- und Umfang dieser einzelnen Bestandteile der deutschen Kriegsbeteiligung. Es geht um die Kriegsbeteiligung insgesamt und um die Art des Krieges, dem da so schnell zugestimmt wurde: Flottenverbände, ABC-Spürpanzer und fliegende Feldlazarette, das sind die Zutaten nicht zu einer begrenzten Militärmisson, sondern zu einem großangelegten Krieg mit Landstreitkräften. Ein Krieg, bei dem zudem mit dem Einsatz von ABC-Waffen gerechnet wird. Gegen wen sich der Kampf richtet, das wurde dem Bundestag nicht berichtet. Der Krieg wurde beschlossen, ohne daß der Kriegsgegner bekannt ist. Der Kriegsgegner wird nicht vom Bundestag und auch nicht vom Bundeskanzler benannt werden, sondern von der Führungsmacht des Krieges, den USA, zu gegebener Zeit namhaft gemacht werden. Ein leichtfertigerer Umgang mit der Frage Krieg und Frieden ist kaum denkbar.

Krieg ums Öl
Sicher ist allerdings daß dieser Gegner irgendwo zwischen Nordostafrika und Mittelasien ausgemacht werden wird: Es geht um einen Krieg in der Ölregion der Welt. Dabei geht es um die Verteilung von Einfluß und Profit. Deshalb darf das größer gewordene Deutschland dabei nicht fehlen.
Der Bundestag hat die Entscheidung getroffen, einen großen Krieg in der Ölregion zu führen. Er bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß andere Länder das gleiche Schicksal zu erwarten haben wie Afghanistan: Wochenlangen Bombenterror, Einmarsch eines Landheeres, Krieg und /oder Bürgerkrieg, bis die vorhandene Regierung durch eine dem Westen verpflichtete ersetzt ist.
Welche Länder dafür in Frage kommen ist zwar nicht definitiv bekannt, aber auch längst kein Geheimnis: Der durch Krieg und Embargo ausgeblutete Irak, das ins Mittelalter zurückgeworfene Somalia, der durch Bürgerkrieg geschundene Sudan, der zur Ölregion besonders günstig liegende "Schurkenstaat" Syrien und andere "Schurkenstaaten" mehr.

"Neuer Kolonialismus"
Dieser Begriff aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt den "Krieg gegen den Terror". Es ist ein Krieg um Öl, Gas und Transportwege. Es ist der Krieg auf den wir bereits in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992 vorbereitet worden sind. Es ist ein Krieg um die "Aufrechterhaltung des freien Zuganges zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt".
Dieser Krieg wird eine Wiedergeburt des Kolonialismus in anderen Formen einleiten: Mit militärischen Mitteln werden unliebsame Länder "befriedet", liebsame Regimes notfalls als Mandatskolonien internationaler Organisationen installiert. Die Bevölkerung bleibt sich dann weitgehend selbst überlassen. Anders als in früheren Kolonialregimen wird noch nicht mal ihre Arbeitskraft zur Ausbeutung benötigt. Hauptsache ist, sie stört nicht Förder- und Transportwege der kostbaren Ressourcen.

Unsere gewachsene Verantwortung
Der Kanzler und der Außenminister haben diesen Krieg immer wieder mit der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt begründet. Aber wofür soll Deutschland Verantwortung wahrnehmen? Für den freien Zugang zu Märkten und Rohstoffen oder für die Lebenschancen der Menschen?
Für die militärische Befriedung der Problemregionen oder für die Lösung der Probleme?
Für eine Welt und Weltordnung, die durch Krieg und Militär noch eine kurze Zeit gewaltsam zum Funktionieren gezwungen werden, oder für eine Welt, deren Zukunft auf die Entwicklung von Gerechtigkeit baut?
Der Bundestag - Regierung, wie der größte Teil der Opposition - hat sich entschieden - für den Krieg.
Wir Antifaschistinnen und Antifaschisten als wichtiger Teil der Friedensbewegung Friedensbewegung können unsere, damit größer gewordene Verantwortung für den Frieden auf niemanden abschieben.

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